Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Lauf und zur Hemmung der Verjährung im Arzthaftungsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Deliktische Ansprüche aus § 823 BGB verjähren innerhalb von drei Jahren (§ 195 BGB). Die(se) regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Geschädigte Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schädigers erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste (§ 199 Abs. 1 BGB).
2. Im Arzthaftungsrecht gilt für die Kenntnis vom Behandlungsfehler als Haftungsgrund und damit den Beginn des Laufs der Verjährung folgendes:
(Behandlungsfehler) Die Kenntnis vom Misserfolg oder einer Behandlungskomplikation reicht allein noch nicht für die Kenntnis eines haftungsrelevanten Behandlungs-fehlers aus. Dem Patienten müssen vielmehr diejenigen Behandlungstatsachen positiv bekannt geworden sein, die - im Blick auf den Behandlungsfehler - ein ärztliches Fehlverhalten und - im Blick auf die Schadenskausalität - eine ursächliche Verknüpfung der Schadensfolge mit dem Behandlungsfehler bei objektiver Betrachtung nahelegen; medizinische Detailkenntnisse sind nicht erforderlich. Das setzt ein Grundwissen über den konkreten Behandlungsverlauf voraus, zu dem neben der Kenntnis der gewählten Therapiemethode auch gehört, dass der Patient die wesentlichen Umstände des konkreten Behandlungsverlaufs positiv kennt oder grob fahrlässig nicht kennt, d.h. auch Kenntnis von Tatbestand und Art des Eintretens von Komplikationen und die zu ihrer Beherrschung getroffenen ärztlichen Maßnahmen. Darüber hinaus erforderlich ist die Kenntnis eines vom medizinischen Standard abweichenden ärztlichen Verhaltens, weil erst diese Verletzung der Berufspflicht des Arztes dessen Haftung begründet.
(Aufklärungsmängel) Bei Aufklärungsfehlern reicht nicht schon die Kenntnis einer unterlassenen Aufklärung als solcher. Hinzutreten muss die Kenntnis des Patienten von den Tatsachen, aus denen sich die Verletzung der Aufklärungspflicht begründet; im Einzelfall also, dass das nach der Behandlung verwirklichte Risiko der Schädigung als Operationsrisiko dem behandelnden Arzt bekannt war oder hätte bekannt sein müssen und er deshalb den Patienten hierüber hätte aufklären müssen.
3. Verhandlungen des geschädigten Patienten mit dem Krankenhausträger oder dessen Haftpflichtversicherer hemmen die Verjährung von Ansprüchen gegen den behandelnden Arzt nur dann, wenn nach den gesamten Umständen zweifelsfrei und eindeutig davon auszugehen ist, dass der auch für den verantwortlichen Arzt eintrittspflichtige Haftpflichtversicherer bei den Regulierungsverhandlungen nicht nur für seinen Versicherungsnehmer - also den Krankenhausträger - sondern auch für den Arzt als mitversicherte Person tätig geworden ist.
Hat dabei der Haftpflichtversicherer erkennbar nur für den Krankenhausträger ge- und verhandelt, berührt dies den Lauf der Verjährung für Ansprüche gegen den behandelnden Arzt nicht.
Normenkette
BGB §§ 195, 199 Abs. 1, § 203
Verfahrensgang
LG Gera (Urteil vom 24.01.2011; Aktenzeichen 6 O 1547/09) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des LG Gera vom 24.1.2011 - Az.: 6 O 1547/09 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten zu 1) durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Kostenbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten wegen streitiger Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit einer im Oktober 2003 durchgeführten Operation auf Schadensersatz in Anspruch.
Der am 13.3.1974 geborene (heute also 38 Jahre alte) Kläger hatte am 27.7.2003 einen Motorradunfall. Er verlor in einer Kurve die Kontrolle über das Motorrad, stürzte, prallte gegen die Leitplanke und rutsche anschließend zwischen den Leitplanken durch, wobei er sich sehr schwere Verletzungen zuzog. Im Vordergrund stand dabei weder das stumpfe Bauchtrauma, noch die Lungenprellung, sondern die wegen der hohen Sepsisgefahr lebensbedrohliche offene Oberschenkel- und Beckenfraktrur. Im Leistenbereich der rechten Körperhälfte hatte der Kläger eine große, stark blutende Risswunde mit Durchspießung des Oberschenkelknochens (Femur); er hatte sich eine zweitgradig offene hüftgelenksnahe Oberschenkeltrümmerfraktur zugezogen. Die Beckentrümmerfraktur war sogar drittgradig offen. Am rechten Hüftgelenk war die Pfanne zerbrochen. Der Hüftkopf lag frei; das Gelenk war also nicht mehr mit Weichteilen bedeckt (vollständiger Haut- und Gewebeverlust). Der Unfall muss dazu geführt haben, dass die vorstehende rechte Beckenseite durch den Unterrand der Leitplanke auf-, in Teilen sogar weggerissen wurde; Teile der knöchernen Gelenkpfanne gingen dabei verloren.
Notfallmäßig erstversorgt wurde der Kläger zunächst im Zentralklinikum Su...