Verfahrensgang
LG Erfurt (Aktenzeichen 10 O 676/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 03.07.2023, Az. 10 O 676/21, aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Landgericht vorbehalten. Ausgenommen hiervon sind die Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind. Diese Kosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 50.000 EUR (Antrag zu 1. 30.000 EUR und Feststellungsantrag 20.000 EUR) festgesetzt.
Gründe
I. Der am 24.10.1984 geborene Kläger nimmt die Beklagte auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in der Folge einer ärztlichen Behandlung im August 2012 in Anspruch.
Der Kläger, damals Bundeswehrsoldat, stellte sich erstmals am 20.07.2012 auf Empfehlung des Oberfeldarztes Dipl. med. H., Facharzt für Orthopädie, bei der Beklagten wegen anhaltender Beschwerden im rechten Fuß und einer erheblichen Deformität der rechten Großzehe (Hallux valgus) vor. Auf Empfehlung der Beklagten hin erfolgte am 07.08.2012 eine operative Versorgung in Form einer Umstellungsosteotomie nach Scarf. Die bis 04.12.2012 andauernde ambulante Nachbehandlung bei der Beklagten mit Verordnung einer Hallux Schiene gestaltete sich komplikationslos.
Aufgrund mehrere Monate andauernden Beschwerden im rechten Fuß stellte sich der Kläger am 20.05.2020 erneut bei der Beklagten vor. Diese befundete nach klinischer sowie röntgenologischer Diagnostik ein Hallux valgus Rezidiv rechts mit Dysästhesie der Großzehe medial und stellte die Indikation zur Doppelosteotomie mit Materialentfernung und Korrektur des Gelenkflächenwinkels sowie einer Neurolyse
Eine auch seitens des in der orthopädischen Praxisklinik K. tätigen DM L. anlässlich der klägerseitigen Vorstellung am 23.06.2020 empfohlene Revisionsoperation ließ der Kläger bislang nicht durchführen.
Erstinstanzlich hat der Kläger der Beklagten Behandlungs- und Aufklärungsfehler vorgeworfen. Er hat behauptet, die im Jahr 2012 durchgeführte Operation sei behandlungsfehlerhaft erfolgt, insbesondere habe die Beklagte eine fehlerhafte Operationsmethode gewählt und intraoperativ eine Nervenläsion herbeigeführt. Infolge der fehlerhaften Behandlung sei es am rechten Fuß zu einer dauerhaften Schmerzhaftigkeit mit Schmerzattacken, einer verkürzten Sehne, einem Nervenschaden und insgesamt zu einer erheblichen Funktionsbeeinträchtigung gekommen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Das Landgericht hat sachverständig beraten die Klage abgewiesen. Die streitgegenständliche Operation sei in der durchgeführten Form indiziert und fehlerfrei gewesen. Aufgrund der beim Kläger vorliegenden moderaten Hallux valgus Deformität mit einem tatsächlichen Intermetatarsalwinkel von 17° anstelle des fehlerhaft im Operationsbericht aufgeführten Winkels von größer als 25° und des klinischen Befundes mit Schmerzen des Klägers sei eine diaphysäre Osteotomie indiziert gewesen. Dies entspreche der aktuellen und auch damals gültigen Leitlinie. Hinweise auf eine intraoperative Nervenläsion ließen sich nicht finden. Dass die Gefühlsstörungen beim Kläger belastungsabhängig aufträten, spreche gegen einen Zusammenhang mit dem operativen Eingriff. Die beklagte Schmerzhaftigkeit und Funktionsbeeinträchtigungen seien auf eine degenerative Veränderung am Großzehengrundgelenk zurückzuführen, die bei seitengleicher Ausprägung in keinem kausalen Zusammenhang mit dem operativen Eingriff vom 07.08.2012 stünden. Entsprechend der MRT-Befundung seien die krampfartigen Schmerzen mit Brennen an der Rückseite des Oberschenkels wahrscheinlich auf eine erhebliche degenerative Veränderung im Bereich der gesamten distalen Lendenwirbelsäule zurückzuführen. Aus einem Rezidiv lasse sich nicht ableiten, dass die Operation fehlerhaft gewesen sei. Die TNT-I-Arthrodese sei medizinisch nicht indiziert gewesen.
Aufklärungsfehler seien nicht festzustellen. Der Kläger habe keinen Vortrag gehalten, der eine Beweisaufnahme notwendig machen würde, sondern lediglich pauschal gerügt, nicht ausreichend über Erfolgschance, Risiken und Behandlungsalternativen aufgeklärt worden zu sein. Der von dem Kläger am 06.08.2012 - und damit zu einem von dem operativen Eingriff in ausreichendem zeitlichen Abstand stehenden - unterzeichnete Aufklärungsbogen entfalte Indizwirkung für eine tatsächlich erfolgte hinreichende Aufklärung. Der Kläger habe keinerlei Ausführungen dazu gemacht, inwieweit das Aufklärungsgespräch hinter dem aus medizinischer Sicht vollständigen und sachgerechten Inhalt des Aufklärungsbogen...