Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Werkunternehmers auf Vereinbarung eines neuen Preises nach Überschreitung des Mengenansatzes: Sittenwidrigkeit eines 800-fach überhöhten Einheitspreises; Darlegungslast des Unternehmers; Preisfestsetzung durch das Gericht
Leitsatz (amtlich)
1. Ist der nach § 2 Nr. 3 oder § 2 Nr. 5 VOB/B zu vereinbarende Einheitspreis für Mehrmengen um mehr als das 800-fache überhöht, weil der Auftragnehmer in der betreffenden Position des Leistungsverzeichnisses einen ähnlich überhöhten Einheitspreis für die ausgeschriebene Menge angeboten hat (hier: 2.200 DM pro kg Betonstabstahl liefern und verlegen), besteht eine Vermutung für ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben des Auftragnehmers (Rz. 46).
2. Der Auftragnehmer widerlegt die Vermutung der Sittenwidrigkeit, wenn die betreffende Position im Vergleich zum Gesamtvolumen des Auftrags nur geringe Bedeutung hat, der Auftragnehmer über keinerlei Informationsvorsprung hinsichtlich der tatsächlichen Mengen verfügte und infolge dessen den Preis auch nicht im Hinblick auf zu erwartende Mengenmehrungen gebildet hat (Rz. 50).
3. Allein der Umstand, dass sich der Auftragnehmer bei der Bildung der Einheitspreise keine vertieften Gedanken gemacht hat, ist nicht sittlich verwerflich (Rz. 52).
4. Der Einheitspreis für die Mehrmenge von ≫110 % ist auf der Grundlage der Kalkulation des ursprünglichen Angebots festzusetzen (Rz. 54).
5. Die vorgelegte Kalkulation bzw. die Aufschlüsselung des Einheitspreises muss nachvollziehbar und darf nicht willkürlich und lebensfremd sein. Das ist jedoch der Fall, wenn ein Auftragnehmer den Einheitspreis i.H.v. 2.210 DM für das Kilogramm Stabstahl wie folgt aufgliedert: 720 DM/kg für Lohn, 1.319,52 DM/kg für Material und 170,48 DM/kg für Gerät (Rz. 57).
6. Ist die vom Auftragnehmer vorgelegte Kalkulation nicht nachvollziehbar, kann das Gericht dem neuen Einheitspreis für die Mehrmengen ≫110 % den ortsüblichen Einheitspreis zugrunde legen (hier: 2,47 DM/kg statt EP von 2.210 DM/kg) (Rz. 58).
Normenkette
BGB §§ 138, 632; VOB/B § 2 Nr. 3 Abs. 2, Nr. 5
Verfahrensgang
LG Erfurt (Urteil vom 23.08.2005) |
BGH (Aktenzeichen VII ZR 160/09) |
Tenor
1. Auf die Anschlussberufung der Klägerin hin wird das Urteil des LG Erfurt vom 23.8.2005 abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 1.770,19 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Zinssatz der Spitzenrenrefinanzierungsfazilität der EZB seit dem 20.3.2002 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Anschlussberufung zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens und die des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Bezüglich des Sachverhaltes wird gem. § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf den Tatbestand des mit der Berufung angegriffenen Urteils Bezug genommen.
Mit Urteil vom 23.8.2005 hat das Erstgericht der Klage i.H.v. 36.503,33 EUR stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung führte es aus, dass der Klägerin die Kürzungen in den Positionen 32.5.120-130 hinnehmen müsse, da sie keinen Anspruch auf Vergütung der dortigen Mengenmehrungen habe.
Zwar sei die diesbezügliche Vereinbarung nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Bezüglich des § 138 Abs. 2 BGB fehle es nämlich bereits an den Tatbestandsvoraussetzungen. Es sei nämlich nicht ersichtlich, dass seitens der Beklagten der Zuschlag unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Unerfahrenheit der Klägerin oder deren Mangel an Urteilsvermögen erfolgt sei.
Auch läge keine Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB in der Fallgruppe der wucherähnlichen Geschäfte bei schwerwiegenden Äquivalenzstörungen vor. Anerkanntermaßen könne insofern ein Rechtsgeschäft nichtig sein, wenn ein krasses Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vorläge und andererseits das Leistungsbegehren von einer verwerflichen Gesinnung getragen worden sei. Vorliegend habe zwar die Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ergeben, dass die von der Klägerin in diesen Positionen angesetzten Einheitspreise nahezu um das Tausendfache überhöht seien. Es dürfe aber in solchen Fällen lediglich bei Nichtkaufleuten davon ausgegangen werden, dass diese Überhöhung von einer verwerflichen Gesinnung getragen worden sei. Dies gelte nicht für Kaufleute wie die Klägerin. Hier müsse die Beklagte nach wie vor die verwerfliche Gesinnung darlegen und nachweisen.
Dennoch stünde der Klägerin aber der diesbezügliche Vergütungsanspruch nicht zu. Dabei ...