Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten, Rechtsanwaltsgebühren in derselben Angelegenheit, Ende des Schuldnerverzuges bei Zahlung durch Scheck
Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtsprechung, dass Inkassokosten grundsätzlich nicht erstattungsfähig sind, wenn der Schuldner erkennbar zahlungsunfähig oder -unwillig ist (OLG Oldenburg JurBüro 2006, 481; OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 15; OLG München NJW 1975, 832), ist auf die Erstattungsfähigkeit von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar.
2. Ob dieselbe Angelegenheit oder verschiedene Angelegenheiten vorliegen, ist anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Danach können mehrere Forderungen gegen denselben Schuldner auch dann eine einheitliche Angelegenheit sein, wenn sie nicht zur selben Zeit fällig werden.
3. Bei einer Zahlung durch (Bar- oder Verrechnungs-) Scheck endet der Verzug des Schuldners bereits mit der Hingabe des Schecks an den Gläubiger (BGHZ 44, 178). Die Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.6.2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Zahlungsverzugsrichtlinie), wonach der Zahlungsverzug erst mit Erhalt des fälligen Betrages endet (Art. 3 I lit. c Ziff. ii), findet auf Zahlungen, die dem Scheckrecht unterliegen, keine Anwendung (Erwägungsgrund 13) - Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten,
Normenkette
BGB § 280 Abs. 2, § 286 Abs. 3 S. 2; RVG § 15 Abs. 5-6; Richtlinie 2000/35/EG
Verfahrensgang
LG Gera (Urteil vom 14.10.2010; Aktenzeichen 1 HKO 144/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des LG Gera vom 14.10.2010 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.102,44 EUR nebst Zinsen aus 2.260,70 EUR i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.6.2010 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehenden Rechtsmittel werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin
60 % und die Beklagte 40 % zu tragen.
Die Kosten des zweiten Rechtszuges werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien standen bis zum 30.6.2011 in ständiger Geschäftsbeziehung. Die Klägerin, ein Transportunternehmen, führte für die Beklagte, ein Geflügelproduktions- und Handelsunternehmen, regelmäßig Transporte mit Nebenleistungen aus.
Spätestens seit der Vereinbarung vom 7.2.2008, mit der die Rahmenvereinbarung zwischen den Parteien vom 19.10.2007 teilweise geändert bzw. ergänzt worden ist, kam und kommt es zwischen den Parteien immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen.
Anlass für den vorliegenden Rechtsstreit sind 20 Rechnungen aus dem Zeitraum 13.8.2008 bis 30.9.2008, welche die Beklagte unstreitig verspätet, etwa 7 - 8 Wochen ab Rechnungsstellung, bezahlt hat. Die Rechnungen waren regelmäßig mit einer Zahlungsfrist von 1 Monat ab Rechnungsdatum versehen (z.B. "Zahlung bis 13.9.2008 ohne Abzug"). Drei bis vier Tage nach Ablauf dieser Frist hat die Beklagte eine "1. Mahnung" von der Klägerin erhalten, die mit einer Aufforderung versehen war, die Rechnung binnen Wochenfrist (z.B. "bis spätestens 6.10.2008) zu begleichen. Wenige Tage, nachdem auch diese Frist fruchtlos verstrichen war, erhielt die Beklagte jeweils die streitgegenständlichen anwaltlichen Mahnungen, mit der sie erneut zur Bezahlung der Rechnung binnen einer Nachfrist von einer Woche ab Datum des Mahnschreibens aufgefordert worden ist.
Die nicht fristgerechten Zahlungen hat die Beklagte mit einem Zurückbehaltungsrecht begründet. Sie habe sich auf diese Weise einen "Puffer" an Forderungen der Klägerin zur Abdeckung ihrer im Streit stehenden eigenen Forderungen gegen die Klägerin verschafft.
Die Klägerin hat von der Beklagten wegen der verspäteten Zahlung der 20 Rechnungen Zinsen i.H.v. 1.841,74 EUR verlangt sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren nach Nr. 2300 VV-RVG zzgl. Auslagenpauschale und MwSt. i.H.v. insgesamt 8.121 EUR als Verzugsschaden. Das LG hat der Klage überwiegend stattgegeben.
Die Beklagte wehrt sich mit der Berufung gegen ihre Verurteilung zur Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LG Gera abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte zur Zahlung eines über 1.037,46 EUR hinausgehenden Betrages nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 2.6.2010 verurteilt worden ist.
Die Klägerin beantragt,
1. die Berufung zurückzuweisen,
2. auf die Anschlussberufung das Urteil des LG Gera teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin (weitere) 797,28 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.6.2010 und Zinsen aus 9.160,46 EUR i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 2.6.2010 bis 26.7.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin macht mit der Anschlussberufung geltend, dass das LG...