Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Frist für die Anfechtung des Testaments wegen Irrtums über die politische Entwicklung der DDR und die darauf beruhende freie Verfügbarkeit des zum Nachlass gehörenden Immobilienvermögens beginnt mit Abschluss des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 18.05.1990.
2. Ob eine Fehlvorstellung des Erblassers über die Entwicklung in der früheren DDR zur Anfechtung seines Testaments berechtigt, setzt eine umfassende Prüfung der Motivationslage des Erblassers im Einzelfall voraus.
Normenkette
ZGB DDR § 374 Abs. 1; ZGB DDR § 374 Abs. 2; ZGB DDR § 374 S. 2
Verfahrensgang
KreisG Erfurt (Urteil vom 07.06.1993; Aktenzeichen 16 C 939/91) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Kreisgerichts Erfurt vom 07.06.1993, Az.: 16 C 939/91, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerinnen zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Klägerinnen wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 7.400,– DM abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerinnen, Töchter des am 17.08.1986 als Witwer verstorbenen …, begehren die Feststellung, alleinige Erben ihres Vaters, der seinen letzten Wohnsitz in Erfurt hatte, zu sein.
Mit handschriftlichem Testament vom 11.12.1980, vor dem staatlichen Notariat in Erfurt am 03.11.1986 eröffnet, hat der Erblasser die direkten Nachfahren des …, zu denen die Beklagte gehört, zu seinen Erben bestimmt und gleichzeitig die Klägerinnen ausgeschlossen. Der überwiegende Teil des Nachlasses besteht aus Anteilen des Erblassers an der Erbengemeinschaft Treitschke und setzt sich überwiegend aus Immobiliarvermögen zusammen.
Mit handschriftlicher Ergänzung des Erblassers vom 02.05.1983 zum vorgenannten Testament, am 09.07.1987 in Gegenwart der Klägerinnen vor dem staatlichen Notariat in Erfurt eröffnet, hat der Erblasser den Klägerinnen ein Vermächtnis an diversen Forderungen und der Klägerin zu 1) die Rechte an einem von ihm verfaßten Buch vermacht. Bei der Eröffnung erhielten die Klägerinnen Kenntnis vom Testamentsinhalt.
Am 05.09.1986 haben die Klägerinnen die Ausschlagung der Erbschaft nach ihrem Vater durch Erklärung gegenüber dem staatlichen Notariat Erfurt erklärt. Diese Erbausschlagung haben sie mit Erklärung vom 08.08.1990 gegenüber dem staatlichen Notariat angefochten. Mit ihrer am 10.09.1991 bei Gericht eingegangenen Klage vom 21.08.1991 haben die Klägerinnen die Anfechtung des Testaments vom 10.12.1980 erklärt und begehren die Feststellung, alleinige Erben ihres Vaters zu sein, nachdem sie zunächst mit Schreiben vom 29.09.1990 gegenüber dem staatlichen Notariat die Testamentsanfechtung erklärt hatten.
Die Klägerinnen haben behauptet:
Ihr Vater, zu dem sie stets ein herzliches Verhältnis gehabt hätten, habe sie nur deshalb enterbt, um die Nachlaßgrundstücke dem Zugriff des Staates zu entziehen. Dieses Ziel sei aufgrund bestehenden Sanierungsbedarfes nach Vorstellung des Erblassers nur so realisierbar gewesen, daß im Westen ansässige, dem Einfluß der Organe der DDR nicht ausgesetzte Verwandte zu Erben eingesetzt und sie selbst enterbt würden. Er habe die letztwillige Verfügung getroffen, um zu vermeiden, daß der Nachlaß unter staatliche Verwaltung gestellt werde. Die irrige Erwartung ihres Vaters, die Wiedervereinigung und damit verbundene Freizügigkeit werde nicht eintreten, berechtige sie zur Testamentsanfechtung. Ohne diesen Irrtum über die künftige politische Entwicklung wären sie zu Erben eingesetzt worden.
Die zunächst gegen einen weiteren Beklagten erhobene Klage haben die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 19.10.1992 zurückgenommen.
Die Klägerinnen haben beantragt,
festzustellen, daß sie die alleinigen Erben des am 17.08.1986 verstorbenen … seien.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet,
der Erblasser habe sich bei der Errichtung des Testaments nicht geirrt. Die Erbeinsetzung sei bewußt erfolgt, da der Erblasser im Rahmen einer früheren Erbschaft innerhalb der Familie bevorteilt worden sei. Seine letztwillige Verfügung habe hierfür Ausgleich schaffen wollen. Abgesehen davon gehe die Argumentation der Klägerinnen bereits deshalb fehl, weil sie bereits zu Lebzeiten ihres Vaters erheblichen Grundbesitz erhalten hätten, der nicht unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt worden sei. Auch dies spreche dafür, daß der Erblasser die getroffene Verfügung von Todes wegen bewußt gewählt habe. Im übrigen handele es sich bei dem von den Klägerinnen behaupteten Irrtum des Erblassers über die politische Entwicklung allenfalls um ein Motiv, das nicht zur Anfechtung des Testamentes berechtige.
Mit Urteil vom 07.06.1993 hat das Kreisgericht Erfurt die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Auf den vorliegenden Fall seien die Rechtsvorschriften der DDR, insbesondere das ZGB anzuwenden. Ein Anfechtungsgrund nach § 374 ZGB sei...