Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Beratungspflichten eines Rechtsanwalts bei Wegfall der Erfolgsaussicht eines Rechtsstreits nach Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
2. Einheitlichkeit des Streitgegenstandes einer Schadensersatzklage wegen anwaltlicher Beratungspflichtverletzung in Bezug auf die Einleitung und Fortführung eines aussichtslosen bzw. aussichtslos gewordenen Rechtsstreits.
3. Der Annahme der Aussichtlosigkeit der Rechtsverfolgung steht es hier nicht entgegen, dass sich der Bundesgerichtshof in einschlägigen Urteilen in Parallelverfahren nicht ausdrücklich mit der Vereinbarkeit seiner Entscheidung mit dem Unionsrecht auseinandergesetzt hat.
4. Die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine letztinstanzliche Entscheidung rechtfertigt die Fortführung eines nach der einschlägigen Rechtsprechung der Fachgerichte aussichtslosen Rechtsstreits grundsätzlich nicht.
5. An der der anwaltlichen Beratung zugrunde zu legenden fehlenden Erfolgsaussicht der weiteren Rechtsverfolgung ändert auch die Tatsache nichts, dass die Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof die Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens in Parallelverfahren befürwortet haben.
6. Die aktuelle einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung hat ein auf das betroffene Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt, der mit einer Vielzahl ähnlich gelagerter Verfahren mandatiert ist, im besonderen Maße zeitnah zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Beratung zu berücksichtigen. Er ist gehalten, sich über die online verfügbare Entscheidungsdatenbank des Bundesgerichtshofs über die fortlaufende Rechtsprechung zu informieren.
7. Ein auf Kapitalanlagerecht spezialisierter Rechtsanwalt, der für die von ihm vertretenen Anleger massenhaft Güteanträge zur Hemmung der Verjährung gestellt hatte und bundesweit Klageverfahren betrieb, musste die Entwicklung der Rechtsprechung zu den Güteanträgen im besonderen Maße verfolgen. Dass im Jahr 2015 zahlreiche Revisions- bzw. Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beim Bundesgerichtshof anhängig waren, bei denen (auch) die Hemmungswirkung von Güteanträgen gegenständlich war, musste einem auf diesem Feld tätigen Rechtsanwalt bekannt sein, so dass er die höchstrichterliche Entscheidung zu erwarten und zeitnah zur Kenntnis zu nehmen hatte. Dieser Zeitpunkt ist zum 30.09.2015 eingetreten.
8. Mit einem Inzidentantrag nach § 717 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. ZPO können Rechtshängigkeitszinsen gem. § 717 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. ZPO nur dann verlangt werden, wenn zugleich ein Vollstreckungsschaden i.S.d. § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO geltend gemacht wird.
Normenkette
BGB §§ 195, 199 Abs. 1, 3 S. 1 Nr. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 4, § 214 Abs. 1, §§ 249-251, 254 Abs. 1, § 276 Abs. 1 S. 1, § 280 Abs. 1, §§ 288, 291, 421, 675 Abs. 1; BRAO § 52 Abs. 2; EGBGB Art. 229 § 6 Abs. 1, 4 S. 1; KapMuG § 13; VVG § 86 Abs. 1 S. 1; ZPO § 139 Abs. 2, § 253 Abs. 1, 2 Nr. 2, §§ 260, 261 Abs. 1, § 264 Nr. 1, § 269 Abs. 1, §§ 287, 543 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1-2, § 697 Abs. 2 S. 1, § 717 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Gera (Aktenzeichen 3 O 582/17) |
Tenor
1. Das Urteil des Landgerichts G. vom 24.04.2018 - 3 O 582/17 - wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels der Beklagten teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 6.004,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.189,13 EUR seit dem 31.12.2016, aus weiteren 2.457,44 EUR seit dem 21.04.2017 und aus weiteren 2.357,63 EUR seit dem 21.11.2017 zu zahlen.
2. Hinsichtlich des Zahlungsanspruchs in Höhe von 2.415,55 EUR wird die Klage auf Grund des Verzichts abgewiesen.
3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
2. Der Inzidentantrag der Beklagten wird abgewiesen.
3. Die Klägerin hat 28 % und die Beklagten haben als Gesamtschuldner 72 % der Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Klägerin 34 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 66 % zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin, ein Rechtsschutzversicherer, nimmt die beklagten Rechtsanwälte aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer, der Eheleute A. (im Folgenden: die Mandanten oder die Zeugen), auf Ersatz eines Kostenschadens in Anspruch. Der Schaden soll dadurch verursacht worden sein, dass die Beklagten für ihre Mandanten einen von vornherein aussichtslosen Rechtsstreit geführt bzw. fortgeführt haben.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 24.04.2018 die Beklagten als Gesamtschuldner zu einer Zahlung in Höhe von 8.419,75 EUR verurteilt, weil die Beklagten für ihre Mandanten einen bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Juni 2013 aussichtslosen Rechtsstreit eingeleitet hätten und den Mandanten durch diese Pflichtverletzung ein Prozesskostenschaden entstanden sei. Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung.
Ferner begehren die Beklagten im Wege eines Inzidentantr...