Leitsatz (amtlich)
1. Zur Haftung des Praxisvertreters.
2. Zur Umkehr der Beweislast bei grobem Behandlungsfehler, wenn der Zahnarzt vor der Extraktion eines Weisheitszahnes keine Röntgenaufnahme des Zahnes und des knöchernen Umfeldes erstellt und die Röntgenaufnahme nicht im Hinblick auf die Vermeidung einer Beschädigung des nervus lingualis von Bedeutung sein kann.
3. Zur Aufklärung über das Risiko einer dauerhaften Schädigung des nervus lingualis durch eine Leitungsanästhesie, wenn die Leitungsanästhesie einhergeht mit einer operativen Entfernung von Weisheitszähnen.
Normenkette
BGB §§ 823, 847 a.F.
Verfahrensgang
LG Erfurt (Urteil vom 08.04.2005; Aktenzeichen 8 O 2133/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten zu 3) wird das Urteil des LG Erfurt vom 8.4.2005 - Az.: 8 O 2133/02 - teilweise abgeändert:
Die Klage gegen den Beklagten zu 3) wird abgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen den Beklagten zu 3) wird zurückgewiesen.
Von den Gerichtskosten erster Instanz und den außergerichtlichen Kosten erster Instanz des Klägers hat dieser selbst 53 %, die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner 47 % zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Beklagten zu 1) und 2) haben diese selbst jeweils 70 % und der Kläger 30 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten erster Instanz des Beklagten zu 3) und die Kosten der Berufungsinstanz hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Von der Darstellung des Tatbestands wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO).
Nachdem der Kläger die Berufung gegen die Beklagten zu 1) und 2) zurückgenommen hat, kann dahingestellt bleiben, ob der Schriftsatz der Beklagten zu 1) und 2) vom 13.8.2005 als Anschließung aufzufassen war, da eine etwaige Anschließung ihre Wirkung verloren hätte (vgl. § 524 Abs. 4 ZPO).
Die Berufung des Klägers gegen den Beklagten zu 3) und die Berufung des Beklagten zu 3) sind zulässig; sie sind statthaft und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
In der Sache hat die Berufung des Beklagten zu 3) Erfolg; die Berufung des Klägers gegen den Beklagten zu 3) ist unbegründet.
Der Kläger kann vom Beklagten zu 3) weder Schadensersatz noch Schmerzensgeld verlangen.
Ein Anspruch aus einer pVV des Behandlungsvertrages scheitert bereits daran, dass der Kläger den Behandlungsvertrag nicht mit dem Beklagen zu 3), sondern mit Dr. S. geschlossen hat. Der Praxisvertreter - wie hier der Beklagte zu 3) - steht nicht in vertraglichen Beziehungen zum Patienten. Der Vertrag kommt allein mit dem Praxisinhaber zustande. Der Vertreter ist sein Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) ohne eigene vertragliche Haftung (BGH, Urt. v. 16.5.2000 - VI ZR 321/98, BGHZ 144, 296 [311] = NJW 2000, 2737 [2741]; v. 13.1.1998 - VI ZR 242/96, BGHZ 138, 1 [8] = NJW 1998, 1780 [1782]; v. 16.10.1956 - VI ZR 308/55, NJW 1956, 1834 [1835]; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl. 2001, S. 9).
Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 3) aber auch keinen Anspruch aus §§ 823, 847 BGB (in der bis zum 31.7.2002 geltenden Fassung, Art. 229 § 8 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB).
Der Beklagte zu 3) haftet nicht aus Behandlungsfehler.
Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme steht zwar fest, dass ihm ein Behandlungsfehler zu Lasten des Klägers unterlaufen ist, indem er am 21.9.1999 vor der Extraktion eines Weisheitszahnes keine Röntgenaufnahme des Zahnes sowie des knöchernen Umfeldes erstellt hat. Diese Feststellung, an die der Senat gebunden ist (vgl. § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO), beruht auf den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. Herrmann. Die diesbezügliche Würdigung des LG ist überzeugend und auch im Übrigen nicht zu beanstanden.
Dies führt aber nicht zu einer Haftung des Beklagten zu 3), denn entgegen der Auffassung des LG fehlt es an der haftungsbegründenden Kausalität.
Die haftungsbegründende Kausalität (§ 286 ZPO) betrifft stets, aber auch nur die Frage der ursächlichen Verknüpfung zwischen dem Behandlungsfehler und dem Eintritt des ersten Schadens an Körper oder Gesundheit (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl. 2001, Abschnitt B, Rz. 189). Diese liegt vor, wenn der primäre Schaden auf die festgestellte Fehlbehandlung zurückzuführen ist und wenn die nach dem medizinischen Soll-Standard richtige Behandlung den Eintritt des Primärschadens verhindert hätte; die bloße Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts genügt nicht (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl. 2001, Abschnitt B Rz. 190).
Die Einschätzung des LG, die Operationsdauer von 1,5 Stunden sei ungewöhnlich und lasse "annehmen, dass eine bestimmte auch vorher erkennbare Komplikation vorgelegen hat", wird durch das Gutachten nicht gestützt. Der Sachverständige hat zur Operationsdauer nicht Stellung genommen und konkrete Anhaltspunkte etwa dafür, dass eine kürzere Operationsdauer die Schädigung des Nervs verhindert hätte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Auch die Würdigung des LG, dass die Schädigung des...