Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Straßenverkehrssicherungspflicht bei Schlagloch auf Brücke
Leitsatz (amtlich)
Die Straßenverkehrssicherungspflicht beruht auf dem Gedanken, dass von der Straße durch die Zulassung des öffentlichen Verkehrs Gefahren für Dritte ausgehen. Der Verkehrssicherungspflichtige hat die Verkehrsteilnehmer vor den von der Straße ausgehenden Gefahren zu schützen und dementsprechend dafür zu sorgen, dass sich die Straße in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand befindet. Damit ist nicht gemeint, dass die Straße praktisch völlig gefahrlos sein muss. Das ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen und kann deshalb von dem Verkehrssicherungspflichtigen nicht verlangt werden. Grundsätzlich muss der Straßenbenutzer sich vielmehr den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und in objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag. Ob danach eine Straße "in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand" ist, entscheidet sich im Einzelnen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung. Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seine Bedeutung sind zu berücksichtigen (BGH VersR 1989, 927, Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., StVO, § 45 Rz. 51 m.w.N.).
Normenkette
ThStrG §§ 10, 43 Abs. 1; BGB § 839; GG Art. 34
Verfahrensgang
LG Gera (Urteil vom 23.04.2010; Aktenzeichen 6 O 602/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Gera vom 23.4.2010 - Aktenzeichen 6 O 602/09 - wie folgt geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 447,85 EUR zzgl. Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.3.2009 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsvergütung i.H.v. 124,36 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.4.2009 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Folgekosten aus der Vermessung und andere Nebenkosten, die kausal auf das Schadensereignis vom 6.3.2009 zurückzuführen sind, zu 50 % an die Klägerin zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Berufungsstreitwert wird auf 1395,70 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte - im Leistungs- und Feststellungsweg - wegen angeblicher Verkehrssicherungspflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Sohn der Klägerin, der in erster Instanz vernommene Zeuge Th. S., war am Nachmittag des 6.3.2009 gegen 15.00 Uhr mit einem Pkw VW Passat, dessen Halterin die Klägerin ist, in Kunitz unterwegs. Er befuhr die Saalebrücke in Richtung Stadtzentrum Jena.
Dort befand sich ein mindestens 10 cm tiefes und 50x50 cm großes Schlagloch. Die Geschwindigkeit auf der Brücke war durch das Verkehrszeichen 274-53 auf 30 km/h begrenzt. Der Straßenbelag der Brücke war mehrfach geflickt.
Die Klägerin behauptet, der Zeuge S. sei mit den beiden rechten Reifen des Fahrzeugs durch das Schlagloch gefahren, wobei die beiden rechten Reifen sowie zumindest die vordere rechte Felge derart beschädigt worden seien, dass sie ausgetauscht werden mussten. Das Schlagloch sei mit Regen gefüllt und daher als solches nicht erkennbar gewesen. Ein Ausweichen sei aufgrund von Gegenverkehr nicht möglich gewesen. Der Zeuge S. sei mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit von 30 km/h gefahren. Das Schlagloch sei schon lange vor dem 6.3.2009 vorhanden gewesen. Aufgrund des verkehrsgefährdenden Ausmaßes hätte eine Notflickung stattfinden müssen.
Die Beklagte hat sich damit verteidigt, dass die Beklagte die Kunitzbrücke am 13.2.2009 kontrolliert und die Beseitigung von Schäden in Auftrag gegeben habe. Dieser Auftrag sei am 18.3.2009 ausgeführt worden. Damit habe die Beklagte die erforderlichen Maßnahmen veranlasst.
Es sei ein erhebliches Mitverschulden des Zeugen S. zu berücksichtigen. Er habe seine Geschwindigkeit nicht in ausreichendem Maße den Straßenverhältnissen angepasst.
Das LG hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Sie habe nach der Aussage des Zeugen B. bereits am 28.1.2009 Kenntnis von dem streitgegenständlichen Schlagloch gehabt und festgestellt, dass es sich am 13.2.2009 noch im gleichen Zustand befunden habe. Ihr sei es zumutbar gewesen, das Schlagloch zeitnah zum 13.2.2009 nochmals mit Kaltmischgut auszubessern. Eine Reparatur erst am 18.3.2009 sei nicht ausreichend gewesen.
Ein Mitverschulden des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges müsse sich die Klägerin nicht entgegenhalten lassen, Ein For...