Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergaberechtliche Rüge, Unverzüglichkeit
Leitsatz (amtlich)
Eine vergaberechtliche Rüge ist in der Regel nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB a.F. erhoben, wenn sie in dem kurz vor Ablauf der Angebotsfrist bei der Vergabestelle eingegangenen Angebot des Bieters an "versteckter Stelle" enthalten ist. Der Bieter kann dann nämlich nicht damit rechnen, dass die Rüge der Vergabestelle bereits bei der Angebotsöffnung im Submissionstermin, sondern erst im Verlauf der üblicherweise mehrere Tage späteren Angebotsprüfung zur Kenntnis gelangt.
Normenkette
GWB § 107 Abs. 3 S. 1; VOB/A § 25 Nr. 1 Abs. 1b), § 21 Nr. 1 Abs. 2 S. 5
Verfahrensgang
Vergabekammer beim Thüringer Landesverwaltungsamt (Beschluss vom 11.06.2009; Aktenzeichen 250-4002.20-2532/2009-002-SOK) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer beim Thüringer Landesverwaltungsamt vom 11.6.2009 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der der Beteiligten zu 3) entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I. Die Vergabestelle hat im Januar die Bauleistung "Ringschluss - Teilvorhaben III: Umrüstung Pumpwerk " europaweit im Offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Angebotsfrist endete am 10.3.2009. Der ausgeschriebene Auftrag umfasste 4 Lose, nämlich Los 1 Bauteil, Los 2 Maschinentechnische Ausrüstung, Los 3 Elektro-, Mess-, Steuer- und Regeltechnische Ausrüstung sowie Los 4 Klimatechnik. Nach Nr. II.1.8. der Bekanntmachung sollten die Angebote für ein oder mehrere Lose eingereicht werden. Einziges Zuschlagskriterium sollte der niedrigste Preis sein.
Nr. 5.1. der Aufforderung zur Abgabe des Angebots lautet wie folgt:
"Die Vergabe nach Losen wird vorbehalten
nein
ja, Angebote können abgegeben werden
nur für ein Los für ein oder mehrere Lose
für alle Lose einzeln alle Lose gesamt"
Nr. 3.4. der Bewerbungsbedingungen lautet wie folgt:
"Enthält die Leistungsbeschreibung bei einer Teilleistung eine Produktangabe mit Zusatz "oder gleichwertig" und wird vom Bieter dazu eine Produktangabe verlangt, ist das Fabrikat (insbesondere Herstellerangabe und genaue Typenbezeichnung) auch dann anzugeben, wenn der Bieter das vorgegebene Fabrikat anbieten will. Dies gilt nicht, wenn er im Angebotsschreiben erklärt, dass er das in der Leistungsbeschreibung benannte Produkt anbietet. Enthält das Angebot weder die Produktangabe noch die Erklärung, ist das Angebot unvollständig."
Das Leistungsverzeichnis zu Los 2 enthält u.a. die Position 22.2.200005 Membrandruckkessel, Membran-Druckbehälter - 5000 Liter, geeignet für Druckstoßdämpfungsanlage. Nach einem umfangreichen Leistungsbeschrieb mit mehreren Leistungsparametern folgt folgende Angabe eines Leitfabrikats:
"Fabrikat: Fa. P, A Typ: AGF 5000.25,
oder gleichwertiger Art.
Fabrikat des Bieters:...
Typ des Bieters:...
Sofern abweichend vom vorgegebenen Fabrikat/Typ angeboten wird, ist der Gleichwertigkeitsnachweis mit dem Angebot zwingend abzugeben und anzugeben, ob im Falle nicht anerkannter Gleichwertigkeit das Musterfabrikat vereinbart werden soll.
Musterfabrikat gilt im Zweifelsfall (ja/nein)..."
Mit Ablauf der Angebotsfrist waren 11 Angebote für Los 2 sowie 2 Gesamtangebote für alle Lose eingegangen. Die Antragstellerin hat nur für Los 2 ein Angebot abgegeben und zwar das zweitgünstigste. Die Beigeladene hat nur ein Gesamtangebot abgegeben, ihre Mitglieder Einzelangebote zu dem Los 1 bzw. den Losen 2 und 3.
Zur Position 22.2.200005 des Leistungsverzeichnisses hat die Antragstellerin angeboten:
"Fabrikat des Bieters: b,
Typ des Bieters: Technoflex BT 5000"
Neben dem angegebenen Leitfabrikat vermerkte sie handschriftlich "wird nicht mehr hergestellt". Die Zweifelsregelung bei nicht anerkannter Gleichwertigkeit schloss sie aus.
Mit Schreiben vom 16.3.2009 wies das von der Vergabestelle beauftragte Planungsbüro darauf hin, dass dem Angebot der Antragstellerin kein Gleichwertigkeitsnachweis zur Position 22.5.200005 beigelegen habe und bat um Aufklärung. Daraufhin legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 17.3.2009 dar, dass sie erst am Freitag (6.3.2009) vor Submission erfahren habe, dass die Fa. P das Leitfabrikat - eine Sonderanfertigung im Lieferprogramm dieser Firma - nicht mehr herstelle. Da es sich bei dem angebotenen Fabrikat ebenfalls um eine Sonderanfertigung handle, gebe es keine Datenblätter o. Ä.. Dem Schreiben beigefügt war eine Bestätigung der Fa. b GmbH, dass das angebotene Fabrikat qualitativ und funktionell dem Leitfabrikat entspreche.
Mit Bieterinformation vom 9.4.2009 teilte die Vergabestelle der Antragstellerin mit, dass sie beabsichtige, den Zuschlag für die Lose 1 bis 4 der Beigeladenen im Wege der Gesamtvergabe zu erteilen. Das Angebot der Antragstellerin werde ausgeschlossen, weil der Gleichwertigkeitsnachweis für den Druckkessel fehle. Diese Entscheidung beanstandete die Antragstellerin mit Rüge vom 15.4.2009, der die Vergabestelle am 17.4.20...