Prof. Dr. Michael Worzalla
Rz. 94
Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung (Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses) gegenüber dem Arbeitgeber bzw. Erwerber kommt in Betracht, wenn es trotz einer ursprünglich vorgesehenen Stilllegung des Betriebs oder eines Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit aus anderen Gründen und einer infolgedessen wirksam ausgesprochenen Kündigung aus betriebsbedingten Gründen i. S. d. § 1 KSchG nachträglich zu einem Betriebsübergang und damit zur Fortführung des Betriebs oder der Entstehung einer anderen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer kommt. Ein solcher Anspruch stellt das notwendige Korrektiv dafür dar, dass die Rechtsprechung aus Gründen der Rechtssicherheit, Verlässlichkeit und Klarheit bei der Prüfung des Kündigungsgrundes auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs abstellte.
Rz. 95
Das Bestehen eines Wiedereinstellungsanspruchs des Arbeitnehmers bei einer sich nach Ablauf der Kündigungsfrist ergebenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit wird in der Rechtsprechung des BAG uneinheitlich beurteilt. Der 8. Senat hatte unter Hinweis auf europäisches Recht für den Fall eines durch willentliche Übernahme der Hauptbelegschaft eingetretenen Betriebsübergangs i. S. d. § 613a BGB ausdrücklich das Bestehen eines Fortsetzungs-/Wiedereinstellungsanspruchs auch dann bejaht, wenn diese Umstände erst nach Ablauf der Kündigungsfrist eintraten. Die Anerkennung eines Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruchs bei einem nach Ablauf der Kündigungsfrist vollzogenen Betriebsübergang durch die Übernahme von materiellen und immateriellen Betriebsmitteln hat der 8. Senat bisher offengelassen. Die europarechtliche Begründung hat der 8. Senat ausdrücklich mit Urteil v. 13.5.2004 aufgegeben und einen Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers verneint, wenn es nach Ablauf der Frist einer insolvenzbedingten Kündigung zu einem Betriebsübergang kommt. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens kann eine teleologische Extension des § 613a Abs. 1 BGB jedoch ggf. ausnahmsweise zu einem Wiedereinstellungsanspruch nach Ablauf der Kündigungsfrist führen. Der Wiedereinstellungsanspruch ist hiernach binnen einer Frist von einem Monat ab Kenntnis der den Betriebsübergang ausmachenden Umstände geltend zu machen. Er führt zur zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs rückwirkenden Begründung eines Arbeitsverhältnisses.
Rz. 96
Ein Wiedereinstellungsanspruch besteht unabhängig vom Zeitpunkt der neu entstandenen Beschäftigungsmöglichkeit dann nicht, wenn berechtigte Interessen des Arbeitgebers der Wiedereinstellung entgegenstehen. Solche entgegenstehenden Interessen des Arbeitgebers können insbesondere dann vorliegen, wenn er bereits anderweitige Dispositionen getroffen hat. Dies ist u. a. der Fall, wenn der Arbeitgeber den frei gewordenen Arbeitsplatz schon wieder mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt hat, es sei denn, der Arbeitgeber hat den – erneuten – Wegfall der in Betracht kommenden Beschäftigungsmöglichkeit treuwidrig herbeigeführt (§ 162 BGB). Wenn es für einen frei gewordenen Arbeitsplatz mehrere Bewerber gibt, darf der Arbeitgeber unter diesen nicht willkürlich auswählen, sondern hat anhand betrieblicher Belange und sozialer Gesichtspunkte eine den §§ 242, 315 BGB genügende Auswahlentscheidung zu treffen. Die Entscheidung des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist von den Arbeitsgerichten jedenfalls dann zu respektieren, wenn die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten haben.
Rz. 97
Die Betriebsparteien können in einer anlässlich des bevorstehenden Betriebsübergangs abgeschlossenen Betriebsvereinbarung ein Rückkehrrecht für die betroffenen Arbeitnehmer regeln.