2.1 Grundsätze
Rz. 5
§ 612a BGB regelt einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit. Nach Ansicht des BAG nimmt § 612a BGB Fälle auf, die vor seiner Einführung unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) oder von Treu und Glauben (§ 242 BGB) geprüft wurden.
Rz. 6
Im Bereich der §§ 1 ff. KSchG (Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Probezeit und nicht im Kleinbetrieb, § 23 Abs. 1 KSchG) treten keine Abgrenzungsprobleme auf. Eine maßregelnde Kündigung ist stets zugleich sozialwidrig. Der Arbeitnehmer wird sich deshalb, falls er sich auf den allgemeinen Kündigungsschutz berufen kann, zweckmäßigerweise, insbesondere wegen der ihm günstigeren Beweislastverteilung (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG), darauf beschränken, die Sozialwidrigkeit der Kündigung zu rügen. Auch außerhalb der §§ 1 ff. KSchG unterliegt die Anwendung des § 612a BGB – anders als die des § 242 BGB – keinen Einschränkungen.
Rz. 7
In Abgrenzung zum Gleichbehandlungsgrundsatz erfordert die "Benachteiligung" in § 612a BGB nicht notwendig einen konkreten Bezug zu anderen Arbeitnehmern, während der Gleichbehandlungsgrundsatz wesensgemäß einen Vergleich mit mindestens einem weiteren Arbeitnehmer voraussetzt.
2.2 Besondere Maßregelungsverbote
Rz. 8
Der in § 612a BGB zum Ausdruck kommende allgemeine Gedanke des Maßregelungsverbots findet sich, bezogen auf besondere Situationen oder Personengruppen, in verschiedenen Vorschriften, die sich deshalb als spezielle Maßregelungsverbote einordnen lassen und zumeist nicht ausschließlich, aber zumindest auch einen Schutz vor Kündigungen bieten.
Rz. 9
Nach schließlich erfolgter Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 (Hinweisgeberrichtlinie) enthält § 36 HinSchG ein Verbot der Maßregelung hinweisgebender Personen.
§ 20 BetrVG bestimmt in Abs. 1 Satz 1, dass kein Arbeitnehmer in der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts beschränkt werden darf, in Abs. 2, dass niemand durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen die Wahl des Betriebsrats beeinflussen darf.
Nach § 84 Abs. 3 BetrVG, der ebenfalls ein besonderes Maßregelungsverbot darstellt, dürfen dem Arbeitnehmer wegen der Erhebung einer Beschwerde keine Nachteile entstehen.
Ein Benachteiligungsverbot zugunsten der Betriebsratsmitglieder enthält § 78 Satz 2 BetrVG; eine entsprechende Regelung für Mitglieder des Sprecherausschusses findet sich in § 2 Abs. 3 SprAuG.
Rz. 10
Im Bereich der Unternehmensmitbestimmung gelten für die Mitglieder der Arbeitnehmer in Aufsichtsräten § 26 Satz 2 MitbestG sowie § 9 Satz 2 DrittelbG.
Rz. 11
§ 5 TzBfG verbietet die Benachteiligung des Arbeitnehmers wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach dem TzBfG. Die Bestimmung ist – entsprechend § 612a BGB – so auszulegen, dass der Arbeitnehmer sein tatsächlich bestehendes Recht in zulässiger Weise geltend macht. Insbesondere ist die Kündigung wegen der Weigerung des Arbeitnehmers, von einem Vollzeit- in ein Teilzeitarbeitsverhältnis oder umgekehrt zu wechseln, unwirksam (§ 11 Satz 1 TzBfG).
Rz. 12
Eine spezielle Ausprägung fand das Maßregelungsverbot bereits in § 4 Abs. 3 BSchG (= Art. 10 des 2. Gleichberechtigungsgesetzes): "Der Arbeitgeber oder Dienstvorgesetzte darf die belästigten Beschäftigten nicht benachteiligen, weil diese sich gegen eine sexuelle Belästigung gewehrt und in zulässiger Weise ihre Rechte ausgeübt haben." Diese Bestimmung wurde durch Art. 4 Satz 2 des Gesetzes vom 14.8.2008 zum 18.8.2006 durch das AGG abgelöst, das seitdem in § 16 AGG ein ausdrückliches Verbot der Maßregelung wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach den §§ 13 bis 16 AGG oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung durchzuführen, vorsieht.
Rz. 13
Nach § 26 Abs. 1 ArbGG darf niemand in der Übernahme oder Ausübung des Amts als ehrenamtlicher Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit benachteiligt werden; eine entsprechende Vorschrift gilt für ehrenamtliche Richter der Sozialgerichtsbarkeit (§ 20 Abs. 1 SGG), nicht aber für ehrenamtliche Richter anderer Gerichtsbarkeiten und -zweige (Finanz, Verwaltung, Handelskammern, Schöffen bei den Strafgerichten). Die Frage, ob der Rechtsgedanke des § 26 ArbGG auf die ehrenamtlichen Richter und Schöffen dieser Gerichtszweige ebenfalls anzuwenden ist, dürfte angesichts des § 45 Abs. 1a Satz 1 und 3 DRiG in den Hintergrund treten, wonach die Benachteiligung verboten und die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen der Übernahme oder der Ausübung des Amts unzulässig ist.
Rz. 14
Nach Art. 48 Abs. 2 Satz 2 GG ist eine Kündigung oder Entlassung wegen der Übernahme oder Ausübung des Amts eines Bundestagsabgeordneten unzulässig.
Rz. 15
Nach§ 17 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG dürfen dem Arbeitnehmer keine Nachteile entstehen, wenn er sich bei unzureichender Sicherheit und unzureichendem...