Cesare Vannucchi, Dr. Brigitta Liebscher
Rz. 225
Nach § 1 Abs. 1 KSchG muss die ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nur dann sozial gerechtfertigt sein, wenn das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als 6 Monate bestanden hat. Eine Sonderregelung für Besatzungsmitglieder im Dienst einer Reederei oder eines Luftverkehrsbetriebs enthält § 24 Abs. 2 KSchG.
Rz. 226
Da § 1 Abs. 1 KSchG nicht auf die Zeit der tatsächlichen Beschäftigung abstellt, sondern auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses, liegt der Sinn und Zweck der Wartezeit vorrangig darin, dass der Arbeitnehmer erst durch eine gewisse Dauer der Unternehmenszugehörigkeit das Recht auf die Arbeitsstelle erwerben soll. Daneben dient die Wartezeit dazu, dass die Parteien in einem Arbeitsverhältnis als Dauerschuldverhältnis eine gewisse Zeit lang prüfen können, ob sie sich auf Dauer binden wollen.
1.4.3.1 Berechnung der Wartezeit
Rz. 227
Der Arbeitnehmer hat die Wartezeit erfüllt, wenn sein Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechung länger als 6 Monate in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens bestanden hat.
Rz. 228
Die Frist wird anhand der §§ 187 Abs. 2 Satz 1, 188 Abs. 2 BGB berechnet. Demnach wird der 1. Tag des Arbeitsverhältnisses entsprechend der allgemeinen Verkehrsanschauung und dem Sinn und Zweck der Wartezeit, die zumindest auch der Erprobung des Arbeitnehmers dient, in die Fristberechnung einbezogen. Der 1. Tag des Arbeitsverhältnisses ist stets der Tag, von dem ab die Arbeitsvertragsparteien ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten begründen wollen.
Im Regelfall wird dies der Zeitpunkt sein, in dem der Arbeitnehmer nach der vertraglichen Vereinbarung seine Arbeit aufnehmen soll.
Dieser ist jedoch dann nicht maßgebend, wenn der rechtliche Beginn des Arbeitsverhältnisses und der Termin der vereinbarten Arbeitsaufnahme nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auseinanderfallen. Dies ist anzunehmen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich darin einig sind, dass gleich zu Beginn des Arbeitsverhältnisses eine Zeitspanne liegen soll, in der der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit verpflichtet ist. Daran kann ein beiderseitiges Interesse bestehen, wenn zwar noch nicht die Verpflichtung zur Arbeitsleistung, wohl aber andere mit dem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses verbundene Rechte und Pflichten – etwa ein Wettbewerbsverbot oder Rücksichtnahme-, Schutz- und Obhutspflichten aus § 241 Abs. 2 BGB – bereits entstehen sollen.
Nicht entscheidend ist etwa der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (der wesentlich früher liegen kann), der Zeitpunkt der schriftlichen Niederlegung des Vertrags oder der Tag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeit tatsächlich aufnimmt (was etwa aufgrund einer Erkrankung des Arbeitnehmers oder aufgrund Annahmeverzugs des Arbeitgebers wesentlich später geschehen kann). Allerdings soll der Fristbeginn sich verschieben, wenn der Arbeitnehmer schuldhaft die Arbeit erst an einem späteren Tag aufnimmt. Ob spätere unentschuldigte Fehlzeiten von der Wartezeit abzuziehen sind, bleibt offen.
Rz. 229
Die 6-Monats-Frist endet mit Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher dem Tag vorhergeht, der durch seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht.
Beispiel
Als erster Arbeitstag wird der 1.4. vereinbart. Die Frist beginnt am 1.4. um 0 Uhr und endet am Tag vor dem 1.10., also am 30.9., um 24 Uhr. Der Arbeitnehmer erlangt am 1.10. um 0 Uhr allgemeinen Kündigungsschutz. Geht ihm die Kündigung an diesem Tag oder später zu, muss sie sozial gerechtfertigt sein.
Rz. 230
Fällt der letzte Tag der Wartezeit auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, findet § 193 BGB keine Anwendung, denn die Wartezeit ist keine Frist, innerhalb derer die Kündigung erklärt werden muss, sondern eine Frist, nach deren Ablauf der Arbeitnehmer das Recht auf den Arbeitsplatz erwirbt.
Rz. 231
Es kommt auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses an. Auch Zeiten eines fehlerhaften, faktischen Arbeitsverhältnisses sind zu berücksichtigen, wenn das Arbeitsverhältnis nach Beseitigung des Mangels ohne Unterbrechung fortgeführt wird. Wird das faktische Arbeitsverhältnis aber außer Vollzug gesetzt, etwa wegen Krankheit des Arbeitnehmers, ist der Arbeitgeber zur sofortigen Lösung berechtigt. Ob die Zeiten des früheren Vollzugs angerechnet werden können, wenn die Parteien nach der Krankheit ein neues Arbeitsverhältnis begründen, richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen bei der rechtlichen Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses (d. h. eine Anrechnungsvereinbarung oder ein enger sachlicher Zusammenhang ist notwendig).
Rz. 232
Nicht angerechnet werden solche Zeiten, die der Arbeitnehmer in einer anderen Funktion im Betrieb oder Unternehmen beschäfti...