Cesare Vannucchi, Dr. Marcel Holthusen
Rz. 279
Arbeitgeberbegünstigend wirkt sich das Prognoseprinzip bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen dagegen dann aus, wenn dem Arbeitgeber die Möglichkeit eingeräumt wird, ein Arbeitsverhältnis bereits vorbeugend im Hinblick auf eine erst zukünftig eintretende Vertragsstörung zu beenden (sog. Veränderungsprognose).
Besonders häufig kommt dieser Gedanke bei der betriebsbedingten Kündigung zum Tragen: In diesem Zusammenhang besteht Einigkeit darüber, dass die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung erst mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem (dauerhaften, s.o.) Wegfall des Beschäftigungsbedarfs für den betroffenen Arbeitnehmer führen muss. Dem Arbeitgeber wird anders gewendet nicht zugemutet, den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs erst abzuwarten, um im Anschluss eine Kündigung mit ggf. lang andauernder Kündigungsfrist auszusprechen. Dabei verlangt das BAG jedoch zusätzlich, dass die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse im Kündigungszeitpunkt bereits greifbare Formen angenommen haben müsse.
Weniger diskutiert wird die Frage der vorbeugenden Kündigung bei der personen- und der verhaltensbedingten Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Auch in diesem Zusammenhang sind jedoch Konstellationen denkbar, in denen es dem Arbeitgeber schlichtweg nicht zumutbar ist, den Eintritt einer Störung erst abzuwarten, bevor er hierauf durch den Ausspruch einer Kündigung reagiert. Steht beispielsweise aufgrund einer Verurteilung bereits fest, dass ein Arbeitnehmer in absehbarer Zeit eine länger andauernde Freiheitsstrafe antreten muss oder dass er seine Arbeits- oder Berufsausübungsvoraussetzung dauerhaft verlieren wird, so muss dem Arbeitgeber die Möglichkeit einer vorbeugenden Kündigung eingeräumt werden. Dogmatisch lässt sich die allgemeine Anerkennung vorbeugender Kündigungen mit dem Präventionszweck der Kündigung und dem verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken des § 323 Abs. 4 BGB begründen. Der Wortlaut der kündigungsrechtlichen Vorschriften steht dem nicht entgegen.
Nichts gesagt ist damit freilich darüber, wie hoch die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer zukünftigen Störung sein muss, um hierauf schließlich schon vorbeugend eine Kündigung stützen zu können (dazu sogleich unter Rz. 280 f.). Auch die anschließende Stabilitätsprognose ist bei einer vorbeugenden Kündigung nicht entbehrlich.