Rz. 547

Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer wegen einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, so wird die Wirksamkeit der Kündigung anhand der Grundsätze der krankheitsbedingten Kündigung geprüft.[1] Denn Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit im medizinischen Sinne. Sie liegt vor, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung ist die physische oder psychische Abhängigkeit vom Alkohol. Sie äußert sich vor allem im Verlust der Selbstkontrolle.[2] Dies lässt sich gleichermaßen übertragen auf eine Abhängigkeit von anderen Drogen.

 

Rz. 548

Entsprechend den Grundsätzen zur krankheitsbedingten Kündigung muss es auch bei der Kündigung wegen einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit in der Vergangenheit zu betrieblichen Störungen gekommen sein, die eine negative Prognose für die Zukunft begründen. Die Alkoholerkrankung kann bereits dann zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen, wenn die vertraglich geschuldete Tätigkeit mit einer nicht unerheblichen Gefahr für den Arbeitnehmer oder für Dritte verbunden ist.[3]

Der Arbeitgeber ist wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Regelfall verpflichtet, dem Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Kündigung die Durchführung einer Entziehungskur zu ermöglichen. Hierauf kann sich der Arbeitnehmer jedoch nur berufen, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von der Suchtkrankheit hatte, also nicht, wenn der Arbeitnehmer diese trotz Auskunftsverlangens des Arbeitgebers verheimlicht hat.[4] Hatte eine Entziehungskur keinen Erfolg, wird eine negative Prognose i. d. R. vorliegen.

Bei einem Rückfall nach zunächst erfolgreicher Entziehungskur sind jedoch nicht die Grundsätze der verhaltensbedingten Kündigung heranzuziehen. Denn auch nach der Entziehungskur besteht die Suchterkrankung als latent bestehende Erkrankung fort und ist nicht etwa ausgeheilt. Es kann daher im Regelfall kein Verschulden des Alkoholikers oder Suchtkranken am Rückfall unterstellt werden.

Ist der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung dagegen nicht therapiebereit, kann erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden, dass er von seiner Alkoholabhängigkeit nicht in absehbarer Zeit geheilt wird[5], mithin eine negative Prognose vorliegt. Denn es ist für Suchterkrankungen typisch, dass der Betroffene glaubt, einer Therapie nicht zu bedürfen. Eine nach Ausspruch der Kündigung durchgeführte Therapie kann nicht zur Korrektur der Prognose herangezogen werden.[6] Auch eine erst nach Kündigungsausspruch entstehende Therapiebereitschaft ändert an der negativen Prognose mangels Behandlungsbereitschaft zum Kündigungszeitpunkt nichts.[7]

 

Rz. 549

Im Rahmen der Interessenabwägung sind die Hintergründe und Umstände, die zur Suchtkrankheit geführt haben, angemessen zu berücksichtigen, insbesondere weil es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, wonach eine Sucht stets selbstverschuldet ist.[8]

 
Hinweis

Eine Alkohol- oder Drogensucht ist von alkohol- oder drogenbedingten Ausfällen während der Arbeitszeit zu unterscheiden, die nicht auf einer Abhängigkeit beruhen. Hier ist die Kündigung an den Grundsätzen einer verhaltensbedingten Kündigung zu messen, womit je nach Lage des Einzelfalles insbesondere ein Abmahnungserfordernis bestehen kann. Die Abgrenzung zwischen Sucht und "Ausreißer" ist naturgemäß schwierig. Alkoholabhängigkeit liegt vor, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholkonsum trotz besserer Einsicht nicht willentlich gesteuert und aufgegeben oder verringert werden kann.

 

Rz. 550

Die zur krankheitsbedingten Kündigung entwickelten Grundsätze sind gleichermaßen auf krankhafte Fälle von Spielsucht zu übertragen.[9] Auch die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Veruntreuung von Firmengeldern zur Befriedigung seiner Spielsucht ist nach den Grundsätzen der personenbedingten Kündigung zu beurteilen, weil die Spielsucht als medizinische Erkrankung, wie andere Suchterkrankungen, etwa die Alkoholkrankheit, anerkannt ist.[10]

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