Cesare Vannucchi, Dr. Brigitta Liebscher
Rz. 870
Nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen sind nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Ein solches Interesse kann sich insbesondere auf die Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen der Arbeitnehmer gründen. Die genannten Merkmale werden häufig zusammengefasst und so beschriebene Arbeitnehmer als "Leistungsträger" bezeichnet. Dieser Begriff umfasst allerdings – insofern missverständlich – auch Arbeitnehmer, die aufgrund ihrer besonderen Kenntnisse oder Fähigkeiten aus der Sozialauswahl ausscheiden.
Rz. 871
§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG statuiert eine Ausnahme von der Sozialauswahl aufgrund wichtiger Belange des Betriebs. Es ist daher keine vom Arbeitgeber zu erfüllende Pflicht, Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl auszunehmen – das Gesetz bietet ihm vielmehr die Möglichkeit, in der konkreten Situation zu entscheiden, ob er die "Leistungsträger" in die Sozialauswahl miteinbeziehen will oder nicht. Ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist Teil seiner unternehmerischen Freiheit.
Zwar besteht für den Arbeitgeber keine Pflicht, besonders fähige Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl auszunehmen. Es ist dem Arbeitgeber jedoch zu raten, die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit wahrzunehmen, und Leistungsträger von vornherein aus dem Kreis der kündigungsbedrohten Arbeitnehmer herauszunehmen. Denn im Regelfall sind die leistungsstärksten Arbeitnehmer – abgesehen von vielleicht den Routiniers – auch die sozial stärksten. Im Rahmen der Sozialauswahl wäre ihnen daher regelmäßig vorrangig zu kündigen.
Rz. 872
Auch die Frage, ob betriebliche Interessen durch die Einbeziehung bestimmter Arbeitnehmer in die Sozialauswahl betroffen werden, ist durch den Arbeitgeber zu beantworten. Er muss entscheiden, welche Mittel – also auch welche Arbeitnehmer – benötigt werden, um den Betriebszweck zu erreichen. Allerdings reicht nicht jedes betriebliche Interesse aus, um besonders leistungsstarke Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszuhalten: Es muss sich vielmehr um "berechtigte" betriebliche Interessen handeln. Davon werden auch reine Nützlichkeitserwägungen erfasst. Privatinteressen des Unternehmers finden hingegen keine Berücksichtigung, sodass z. B. eine besondere persönliche Verbundenheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Herausnahme aus der Sozialauswahl nicht begründen kann.
Aus der Auswahlfreiheit des Unternehmers folgt, dass sich der einzelne Arbeitnehmer nicht darauf berufen kann, der Arbeitgeber habe insofern eine falsche Auswahlentscheidung getroffen, als dass er ihn – den Arbeitnehmer – nicht als Leistungsträger berücksichtigt habe. Er kann lediglich geltend machen, dass andere ungerechtfertigt aus der Sozialauswahl herausgenommen wurden und diese daher fehlerhaft ist.