Rz. 1
§ 35 BetrVG regelt ein aufschiebendes Vetorecht besonderer Interessengruppen gegen Beschlüsse des Betriebsrats. Die Vorschrift stellt zwingendes Recht dar; die Einzelheiten, insbesondere das bei der Antragstellung und -behandlung im Betriebsrat zu beachtende Verfahren, können in der Geschäftsordnung des Betriebsrats geregelt werden. Der Antrag auf Aussetzung kann gestellt werden
Auf diese Weise wird erreicht, dass auch diese Gruppen, die keinen oder nur eingeschränkten Einfluss auf die Beschlüsse des Betriebsrats haben, ihre Interessen gegebenenfalls auch nachträglich zur Geltung bringen können.
Rz. 2
In dem Antrag muss geltend gemacht werden, dass der Beschluss in erheblicher Weise wichtige Interessen der von den Antragstellern vertretenen Arbeitnehmer beeinträchtigt. Dies müssen die Antragsteller begründen, wenn auch nicht beweisen. Der Antrag ist gegenüber dem Vorsitzenden des Betriebsrats – bei Beschlüssen von Ausschüssen gegenüber deren Vorsitzendem zu stellen. Er kann mündlich erfolgen.
Streitig ist, ob Antragsbefugnis voraussetzt, dass die Jugend- und Auszubildendenvertretung bzw. die Schwerbehindertenvertretung an der Sitzung teilgenommen hat und dort bereits – im Fall der Jugend- und Auszubildendenvertretung mehrheitlich – Bedenken geäußert, bzw. im Fall der Stimmberechtigung nach § 67 Abs. 2 BetrVG gegen den Beschluss gestimmt hat. Der Antrag der Jugend- und Auszubildendenvertretung kann nur durch einen Beschluss derselben, der mit absoluter Mehrheit zu treffen ist, gestellt werden.
Rz. 3
Geht beim Vorsitzenden ein solcher Einspruch ein, so ist es ihm untersagt, den Beschluss des Betriebsrats weiter auszuführen, insbesondere irgendwelche Erklärungen im Rahmen des § 26 Abs. 2 BetrVG gegenüber dem Arbeitgeber abzugeben; da der Beschluss selbst jedoch wirksam bleibt, führt ein gegenteiliges Verhalten des Betriebsratsvorsitzenden dazu, dass die Wirkungen des Beschlusses eintreten.
Die aufschiebende Wirkung im Sinne des § 35 Abs. 1 BetrVG tritt für die Dauer einer Woche, gerechnet vom Tag des Beschlusses an, ein.
Der Betriebsrat beschließt, der Kündigung eines Schwerbehinderten zuzustimmen. Der Vertrauensmann der Schwerbehinderten verlangt die Aussetzung des Beschlusses. Der Betriebsratsvorsitzende darf nun die Zustimmung des Betriebsrats zu der Kündigung dem Arbeitgeber gegenüber nicht erklären. Hat er dies bereits getan, geht der Aussetzungsantrag ins Leere; hat er die Erklärung noch nicht abgegeben, macht dies aber trotz des Aussetzungsverlangens, ist die Zustimmung zur Kündigung erteilt. Der Betriebsratsvorsitzende hat sich hier aber u. U. grob rechtswidrig verhalten, was eine Amtsenthebung nach § 23 Abs. 1 BetrVG durch das Arbeitsgericht zur Folge haben kann.
Die Aussetzung führt nicht dazu, dass für den Betriebsrat laufende Fristen verlängert werden; dies gilt insbesondere bezüglich der Fristen für die Stellungnahmen zu Kündigungen (§ 102 Abs. 2 BetrVG) und zu personellen Einzelmaßnahmen (§ 99 Abs. 3 BetrVG).
Der Betriebsrat beschließt am 10. des Monats, der vom Arbeitgeber am 7. des Monats beantragten Einstellung eines neuen Arbeitnehmers zuzustimmen. Die Schwerbehindertenvertretung beantragt am 11. des Monats die Aussetzung des Beschlusses, weil sie der Auffassung ist, dass die Stelle für einen schwerbehinderten Bewerber geeignet war und dieser hätte eingestellt werden müssen. Daraufhin gibt der Betriebsratsvorsitzende gegenüber dem Arbeitgeber zunächst keine Erklärung ab.
Das nützt der Schwerbehindertenvertretung nichts, denn mit Ablauf des 14. des Monats gilt die Zustimmung angesichts des Schweigens des Betriebsrats nach § 99 Abs. 3 BetrVG als erteilt.
Über den Aussetzungsantrag kann erst nach Ablauf der Wochenfrist durch eine erneute Beschlussfassung unter ordnungsgemäßer Beteiligung der Einspruchsführer beschlossen werden. In der Zwischenzeit soll eine Verständigung, ggf. mithilfe der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften, versucht werden. Gerade bei laufenden Fristen für den Betriebsrat ist es aber zulässig, mit Zustimmung der Antragsteller eine frühere Auseinandersetzung des Betriebsrats mit dem ausgesetzten Beschluss herbeizuführen. In diesem Fall wird der Vorsitzende regelmäßig verpflichtet sein, kurzfristig eine Betriebsratssitzung zu diesem Thema einzuberufen.
Bei der erforderlichen erneuten Beschlussfassung des Betriebsrats geht es um den ausgesetzten Beschluss. Dabei gibt es folgende Alternativen:
- Der Beschluss wird bestätigt.
- Der Beschluss wird aufgehoben.
- Der Beschluss wird geändert.
Bei Aufhebung des Beschlusses tritt dann ein beschlussloser Zustand ein; es kommt nicht etwa zu einer automatischen Geltung eines abgelehnten alternativen Antrags.
Bei Bestätigung oder nur geringfügiger Änderung des ausgesetzten Beschlusses besteht nicht mehr die Möglichkeit, eine erneute Aussetzung zu verlangen.