Rz. 10
Erforderlich für die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist des Weiteren, dass die Angelegenheit nicht durch die einzelnen Betriebsräte auf Betriebsebene geregelt werden kann. Dieses "Nichtregelnkönnen" liegt nicht nur vor, wenn eine Regelung durch Betriebsräte objektiv unmöglich ist. Ausreichend ist vielmehr, dass ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung besteht (BAG, Beschluss v. 11.11.1998, 7 ABR 47/97; BAG, Beschluss v. 3. 5. 2006, 1 ABR 15/05). Dieses Erfordernis kann sich aus technischen oder rechtlichen Gründen ergeben. Dagegen genügen allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, sein Kosten- und Koordinierungsinteresse sowie reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte nicht, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen. Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des Unternehmens und der einzelnen Betriebe (BAG, Beschluss v. 19.6.2012, 1 ABR 19/11; BAG, Beschluss v. 14.11.2006, 1 ABR 4/06; BAG, Urteil v. 19.6.2007, 1 AZR 454/06; BAG, Beschluss v. 9.12.2003, 1 ABR 49/02; BAG, Beschluss v. 15.1.2002, 1 ABR 10/01).
Rz. 11
Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats besteht auch bei subjektiver Unmöglichkeit einzelbetrieblicher Regelungen. Eine solche liegt vor, wenn der Arbeitgeber im Bereich der freiwilligen Leistungen zu einer Regelung oder Leistung nur betriebsübergreifend bereit ist. Wenn der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei darüber entscheiden kann, ob er eine Leistung überhaupt erbringt, kann er sie von einer überbetrieblichen Regelung abhängig machen und so die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung herbeiführen (BAG, Beschluss v. 23.3.2010, 1 ABR 82/08; BAG, Beschluss v. 10.10.2006, 1 ABR 59/05; BAG, Beschluss v. 9.12.2003, 1 ABR 49/02). Durch die mitbestimmungsfreie Vorgabe des Adressatenkreises legt der Arbeitgeber zugleich das Mitbestimmungsgremium fest (BAG, Urteil v. 19.6.2007, 1 AZR 454/06). Dies gilt z. B. im Hinblick auf die Gewährung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, freiwilliger Sonderzahlungen oder freiwilliger Zulagen (BAG, Urteil v. 24.1.2006, 3 AZR 483/04). Der Arbeitgeber kann also im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats durch das Verlangen nach einer betriebsübergreifenden Regelung begründen.
Rz. 12
Dies gilt aber nicht für das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG im Zusammenhang mit einem Vergütungssystem für Außertarifliche Angestellte. Bei der Vergütung der AT-Angestellten handelt es sich nicht um eine "freiwillige Leistung", weil sie der Arbeitgeber auch dann erbringen muss, wenn er sich mit dem Betriebsrat über deren Verteilungsgrundsätze nicht einig wird. Auch der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz begründet keine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, da er zwar die Regelungsmacht der Betriebsparteien begrenzt, aber keinen Zwang zu einer unternehmenseinheitlichen Ausgestaltung von Entlohnungsgrundsätzen für AT-Angestellte durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung begründet (BAG, Beschluss v. 23.3.2010, 1 ABR 82/08).
Rz. 13
Die Theorie der "subjektiven Unmöglichkeit" ist nicht anwendbar, wenn der Arbeitgeber zur Reduzierung einer den Arbeitnehmern zustehenden Leistung (z. B. einer tariflichen Sonderzahlung) oder zu einer die Arbeitnehmer belastenden Regelung – etwa durch eine tarifvertragliche Öffnungsklausel – der Mitbestimmung des Betriebsrats bedarf. In diesen Fällen gibt es keine mitbestimmungsfreie Vorgabe des Arbeitgebers, durch welche die Ebene der Mitbestimmung und damit das für diese zuständige Gremium festgelegt wird (BAG, Urteil v. 19.6.2007, 1 AZR 454/06).