Rz. 30
Nach § 74 Abs. 2 Satz 3 ist Arbeitgeber und Betriebsrat jede Betätigung parteipolitischen Inhalts untersagt. Die Betriebsparteien dürfen also nicht aktiv handeln. Kein Verstoß gegen Abs. 2 Satz 3 liegt dagegen vor, wenn Arbeitgeber oder Betriebsrat nicht gegen eine parteipolitische Betätigung von Arbeitnehmern vorgehen, sondern diese dulden. Eine Pflicht zum Einschreiten enthält Abs. 2 Satz 3 nicht.
Rz. 31
Abs. 2 Satz 3 verbietet eine parteipolitische Betätigung. Darunter fällt sowohl die Tätigkeit für als auch gegen eine Partei. Unter "Partei" sind dabei sowohl die Parteien im Sinne von Art. 21 GG, § 2 Abs. 1 ParteienG zu verstehen als auch sonstige politische Gruppierungen, wie z. B. Wählergemeinschaften, verbotene Parteien, Bürgerinitiativen, die sog. Anti-Atom-Bewegung.
Rz. 32
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG war nicht nur die parteipolitische Tätigkeit, sondern jegliche allgemeine politische Betätigung nach Abs. 2 Satz 3 verboten. Das BAG begründete seine Auffassung damit, dass eine Abgrenzung zwischen parteipolitischer und politischer Tätigkeit in aller Regel nicht oder kaum möglich ist.
Diese Rechtsprechung hat das BAG mit seiner Entscheidung vom 17.3.2010 aufgegeben. Es verlangt nun einen Bezug zu einer Partei. Allgemeinpolitische Äußerungen, wie im konkreten, vom BAG entschiedenen Fall die Veröffentlichung eines Aufrufs "Nein zum Irak-Krieg" und die Aufforderung zur Teilnahme an einem Volksentscheid über die Einführung von verbindlichen Volksabstimmungen sind zu allgemeinpolitisch und stellen daher keine parteibezogenen Äußerungen dar. Zur Begründung verweist das BAG auf den Wortlaut des § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG, der von "parteipolitischer Betätigung" spricht, die für einen Verstoß gegen die Regelung erforderlich sei. Darüber hinaus ergebe sich eine einschränkende Auslegung des § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zwingend aus Art. 5 Abs. 1 GG. § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG begrenzt das durch Art. 5 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Bei der Anwendung der Regelung müsse der besondere Wertgehalt des Art. 5 Abs. 1 GG gewahrt bleiben. Die Regelung des § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG sei daher nach Ansicht des BAG in ihrer das Grundrecht einschränkenden Wirkung selbst einzuschränken, also eng auszulegen. Dieses Erfordernis einer engen Auslegung führe dazu, dass § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nur parteipolitische Tätigkeiten, nicht aber jegliche politische Betätigung erfasse.
Ob beispielsweise Schreiben von Arbeitgebern an die Belegschaft, in denen mögliche Folgen der Wahl einer bestimmten Partei für den Wirtschaftsstandort Deutschland dargestellt werden, noch von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt sind oder einen Verstoß gegen die Regelung des § 74 Abs. 2 Satz 3 darstellen, ist fraglich. Es wird insoweit jeweils auf die konkrete Formulierung im Einzelfall ankommen.
Rz. 33
Räumlich ist das Verbot des Abs. 2 Satz 3 auf den Betrieb beschränkt. Dazu gehören auch unselbstständige Betriebsteile i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG oder ihm nach § 4 Abs. 2 BetrVG zugeordnete Kleinbetriebe. Es umfasst darüber hinaus auch die auf dem Betriebsgelände liegenden sonstigen Einrichtungen, wie z. B. die Betriebskantine. Nach der Rechtsprechung des BAG gilt es zudem auch in unmittelbarer Nähe des Betriebs, sofern die politische Betätigung in den Betrieb hineinwirkt.
- Mitglieder des Betriebsrats der X-GmbH verteilen in ihrer Funktion als Betriebsräte vor den Werkstoren der X-GmbH Flugblätter, in denen zur Wahl der Y-Partei bei den anstehenden Landtagswahlen aufgerufen wird. Das Verteilen ist unzulässig, weil es dazu führt, dass die Mitarbeiter der X-GmbH diese Flugblätter mit an ihren Arbeitsplatz nehmen, mithin die Verteilung in den Betrieb hineinwirkt. Ob die Arbeitnehmer auch über den Inhalt des Flugblatts diskutieren und es dadurch zu einer Störung des Betriebsfriedens oder des Arbeitsablaufs kommt, ist irrelevant.
- Mitglieder des Betriebsrats der X-GmbH verteilen in ihrer Funktion als Betriebsräte vor dem Betrieb Flugblätter, in denen zur Teilnahme an einer Volksabstimmung über die Einführung von Volksentscheiden aufgerufen wird. Das Verteilen derartiger Flugblätter ist nach Ansicht des BAG sowohl vor als auch auf dem Betriebsgelände zulässig.
Außerhalb des Betriebs können Arbeitgeber und Betriebsrat uneingeschränkt (partei-)politisch aktiv sein. Dabei dürfen sie sich auch als Arbeitgeber oder Mitglied eines Betriebsrats zu erkennen geben und sogar mit dieser Funktion und der daraus resultierenden besonderen Erfahrung für sich werben, z. B. bei Kandidaturen um Parteiämter ebenso wie bei Kandidaturen bei öffentlichen Wahlen. Sie dürfen sich darüber hinaus auch öffentlich, z. B. in Interviews, für oder gegen eine bestimmte Partei aussprechen.