Rz. 37
Für den Umfang der gerichtlichen Überprüfung ist es von Bedeutung, ob es sich um Rechtsfragen oder Regelungsfragen handelt. Sind Rechtsfragen betroffen, so hat sich die gerichtliche Prüfung auf solche Rechtsfragen zu erstrecken, die zur Unwirksamkeit des Spruchs führen könnten. Bei Sozialplänen ist Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle, ob sich der Spruch der Einigungsstelle als angemessener Ausgleich der Belange des Unternehmens auf der einen und der betroffenen Arbeitnehmer auf der anderen Seite erweist (LAG Hamm, Beschluss v. 23.8.2019, 13 TaBV 44/18).
Beispiele für unwirksame Einigungsstellensprüche:
- Fehlende Zuständigkeit der Einigungsstelle, weil das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht nicht bestand (BAG, Beschluss v. 20.7.1982, 1 ABR 19/81; BAG, Beschluss v. 30.8.1995, 1 ABR 4/95).
- Fehlende Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, weil die Einzelbetriebsräte zuständig waren, oder umgekehrt.
- Verstöße gegen Grundrechte von Arbeitnehmern,, Gesetze oder Tarifverträge (BAG, Beschluss v. 14.12.2004, 1 ABR 34/03 zur Videoüberwachung und zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht).
- Verletzung wesentlicher Verfahrensregeln, selbst wenn die Beteiligten diese nicht gerügt haben (BAG, Beschluss v. 18.1.1994, 1 ABR 43/93); so liegt ein Verfahrensfehler vor, wenn der Vorsitzende allein über einen Vertagungsantrag entscheidet (LAG Köln, Beschluss v. 26.7.2005, 9 TaBV 5/05).
- Einführung bezahlter (Raucher-)Pausen, wofür der Betriebsrat jedoch kein Mitbestimmungsrecht hat (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 21.6.2007, 4 TaBV 12/07, keine Annexkompetenz in diesem Fall).
- Kostentragungspflicht bei einheitlicher Personalkleidung, keine Annexkompetenz der Einigungsstelle (BAG, Beschluss v. 13.2.2007, 1 ABR 18/06).
- Festlegung einer Frist in einer durch Einigungsstellenspruch festgelegten Betriebsvereinbarung, innerhalb derer der Betriebsrat eine Stellungnahme zu einer Personaleinsatzplanung abzugeben hat, dem Betriebsrat bei Verweigerung der Zustimmung auferlegt, eine schriftliche Begründung vorzulegen und bei deren Verstreichen die Zustimmung des Betriebsrats zu der Personaleinsatzplanung fingiert wird (BAG, Urteil v. 8.12.2015, 1 ABR 2/14).
- Festsetzung einer Mindestpersonalbesetzung in einer durch Einigungsstellenspruch festgelegten Betriebsvereinbarung, da dies von der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats nach§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i. V. m. § 3 Abs. 1 ArbSchG nicht gedeckt ist.
- Regelung in einem Sozialplan, der einen Ausschluss von Arbeitnehmern vorsieht, die nach Bezug von Arbeitslosengeld I eine vorgezogene, gekürzte Rente in Anspruch nehmen können, § 75 BetrVG, §§ 1, 7 AGG.
Rz. 38
Sind Regelungsfragen verhandelt worden, bleiben die oben genannten Rechtsfehler des Spruchs uneingeschränkt überprüfbar. Das Gericht prüft aber darüber hinaus die Rechtsfrage, ob die Grundsätze des billigen Ermessens (§ 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG) eingehalten wurden. Für die Kontrolle der Ermessensgrenzen ist die 2-Wochen-Frist zu beachten. Dabei findet eine Zweckmäßigkeitsüberprüfung des Spruchs nicht statt. Das Gericht prüft lediglich, ob die beiderseitigen Interessen zu einem Ausgleich gebracht wurden. Dem Zweck des jeweiligen Mitbestimmungsrechts ist dabei ebenso wie den unternehmerischen Interessen Rechnung zu tragen. Die Grenzen sind überschritten, wenn eine sachgerechte Interessenabwägung nicht erkennbar oder die Regelung objektiv ungeeignet ist (BAG, Beschluss v. 21.9.1993, 1 ABR 16/93).
Beispiel für eine Ermessensüberschreitung:
Ein durch Spruch der Einigungsstelle beschlossener Transfersozialplan zum Übertritt in eine externe Transfergesellschaft muss hinreichend konkrete Regelungen zum Ausgleich und zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile der betroffenen Beschäftigten enthalten. Dem genügt ein vorgesehenes Gesamtbudget der Weiterbildungsmittel für den Träger ohne Vorgaben oder Einfluss der Einigungsstelle zur Verteilung dieser Mittel auf die übergehenden Beschäftigten regelmäßig nicht. Ansonsten ist jedenfalls der bestehende Regelungsspielraum überschritten (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 1.3.2016, 9 TaBV 1519/15).
Das Arbeitsgericht prüft nur den Spruch selbst, nicht die zugrunde liegenden Erwägungen. Schließlich kommt es auf die Umstände zum Zeitpunkt der Beschlussfassung an. Spätere Entwicklungen fließen in die Prüfung nicht mit ein und führen allenfalls zu einer erneuten Einigungsstelle.
Bei der Wahl des freizustellenden Betriebsratsmitgliedes kann die Entscheidung der Einigungsstelle darauf überprüft werden, ob sie den unbestimmten Rechtsbegriff "sachlich nicht vertretbar" verkannt oder den Minderheitenschutz beachtet hat (LAG Baden-Württemberg, Beschluss v. 26.10.2007, 5 TaBV 1/07).
Rz. 39
Das Gericht prüft lediglich die Wirksamkeit des Spruchs und trifft diesbezüglich eine Feststellung. Keinesfalls setzt es an die Stelle Gestaltung der Einigungsstelle eigene Vorstellungen.