Rz. 28
Eine weitere Folge der zwingenden Wirkung von Betriebsvereinbarungen besteht darin, dass der Arbeitnehmer auf daraus abgeleitete Rechte nicht ohne Weiteres verzichten kann (§ 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG). Vielmehr bedarf ein solcher Verzicht der Zustimmung des Betriebsrats. Dies gilt auch für
- die Ausgleichsquittung und
- den Prozessvergleich,
sofern der Verzicht darin enthalten ist. Auch der Verzicht bereits aus dem Betrieb ausgeschiedener Arbeitnehmer ist unwirksam.
Der Arbeitnehmer unterschreibt bei seinem Ausscheiden eine Ausgleichsquittung, wonach alle Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag und seiner Beendigung ausgeglichen sind. Aufgrund einer Betriebsvereinbarung stand ihm noch eine Erschwerniszulage für 2 Monate zu. Diese wird von der Ausgleichsquittung nicht erfasst, wenn der Betriebsrat nicht zugestimmt oder den Verzicht nachträglich genehmigt hat. Der Arbeitnehmer kann sie also trotz seiner Erklärung einfordern. Wenn der Arbeitgeber dem Beendigungswunsch eines Arbeitnehmers entsprechen will, obwohl er diesen weiterhin benötigt, kann er ihm den Abschluss eines Aufhebungsvertrags unter der Bedingung anbieten, dass der Betriebsrat einem völligen oder teilweisen Verzicht auf einen Sozialplanabfindungsanspruch gemäß § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG zustimmt.
Beim Prozessvergleich ist die Rechtslage im Grunde genauso, jedoch können die Prozessparteien einen sog. Tatsachenvergleich schließen, der nicht der Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Ist etwa streitig, ob bestimmte Leistungen aus einer Betriebsvereinbarung vollständig und richtig erbracht worden sind, können die Parteien sich hierauf verständigen.
Ein solcher Vergleich enthält also nicht Formulierungen wie: "Damit sind alle Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag ausgeglichen", sondern es heißt: "Die Parteien stimmen darin überein, dass Ansprüche des Arbeitnehmers aus der Betriebsvereinbarung Nr. 22 vom 11.3.2023 vom Arbeitgeber vollständig erfüllt worden sind." Wird im Kündigungsschutzverfahren eine Abfindungszahlung vereinbart, die über die Sozialplanleistungen hinausgeht, wird üblicherweise vereinbart, dass diese unter Anrechnung auf die Sozialplanansprüche erfolgt. Ansonsten könnte ein Anspruch aus dem Vergleich entstehen und darüber hinaus der Sozialplananspruch.
Rz. 29
Die Verwirkung von Ansprüchen aus Betriebsvereinbarungen ist rechtlich nicht möglich. Von einer Verwirkung spricht man, wenn der Arbeitnehmer seine Ansprüche über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht hat und zusätzliche Umstände hinzutreten, die beim Arbeitgeber das Vertrauen erwecken, er werde den Anspruch auch in Zukunft nicht mehr erheben.
Rz. 30
Einzelvertragliche Ausschlussfristen, wonach Ansprüche innerhalb einer bestimmten Frist geltend zu machen sind, können Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung nicht zum Erlöschen bringen. Dies ist nur möglich, wenn die Ausschlussfrist in der Betriebsvereinbarung selbst oder einem Tarifvertrag enthalten ist.
Im Einzelarbeitsvertrag wird vereinbart, dass alle Ansprüche innerhalb von 3 Monaten nach ihrem Entstehen schriftlich bei der Gegenseite geltend zu machen sind; anderenfalls verfallen sie. Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf pauschalierten Aufwendungsersatz aus einer Betriebsvereinbarung erst nach 4 Monaten geltend gemacht, ebenso wie einen rein einzelvertraglichen Anspruch auf Überstundenvergütung. Letzterer ist verfallen, der Anspruch aus der Betriebsvereinbarung hingegen nicht, sofern nicht auch in der Betriebsvereinbarung eine entsprechende Klausel enthalten ist.
Sind Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis tarifvertraglich geregelt, so können durch Betriebsvereinbarung auch für die Geltendmachung von Akkordlohnansprüchen keine Ausschlussfristen geregelt werden, sofern nicht die tarifliche Regelung insoweit eine Öffnungsklausel enthält.