Rz. 104

Gegenstand der Mitbestimmung in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist die technische Datenerhebung und Datenverarbeitung nur insoweit, als sie die Überwachung von Verhalten und Leistung der Arbeitnehmer betrifft. Außerhalb derartiger Angelegenheiten besteht kein Mitbestimmungsrecht. So muss mit dem Betriebsrat keine Einigung darüber erzielt werden, ob für die Arbeitsprozesse und -abläufe überhaupt technische Einrichtungen eingeführt werden und zur Anwendung gelangen. Die Beteiligung findet nur unter dem Gesichtspunkt der Verhaltens- und Leistungskontrolle statt.

 

Rz. 105

Der Persönlichkeitsschutz ist der zentrale Zweck der Mitbestimmungsnorm. Durch die technische Ermittlung von Verhaltens- und Leistungsdaten geht eine besondere Gefahr aus, denn der Arbeitnehmer ist einer anonymen Kontrolle ausgesetzt. Zudem ermöglicht die Datenverarbeitung und Aufzeichnung, dass Informationen stets verfügbar bleiben und nicht "vergessen" werden können. Die Mitbestimmung soll verhindern, dass der Arbeitnehmer zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht wird.[1] Zu Recht wird ein enger Zusammenhang zwischen dem Mitbestimmungsrecht und dem Gebot des § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gesehen, die freie Entfaltung der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Der Gesetzgeber hat dieses Gebot in der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 2001 sogar noch erstreckt auf die Förderung der Selbstständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und der Arbeitsgruppen (§ 75 Abs. 2 Satz 2 BetrVG).

 

Rz. 106

Diese Erweiterung schlägt indes auf das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nur ausnahmsweise durch, wenn durch die technischen Überwachungseinrichtungen Selbständigkeit und Eigeninitiative beeinflusst werden. Dies ist allerdings in beiderlei Richtungen denkbar. Die Überwachungseinrichtung könnte wegen ihrer undifferenzierten Wirkungsweise einerseits auf Eigeninitiativen und Selbständigkeit drosselnd wirken. Andererseits kann sie Eigeninitiative und Selbständigkeit auch fördern, insbesondere dann, wenn den Arbeitnehmern oder Arbeitnehmergruppen die Leistungsdaten unmittelbar zugänglich sind und sie damit ebenfalls überprüfen können, wie sich bestimmte Verhaltensweisen in den Arbeitsabläufen auf die Arbeitsergebnisse auswirken. Die Überwachungseinrichtungen können daher insbesondere in der Gruppenarbeit für Selbständigkeit und Eigeninitiative fördernde Wirkungen entfalten.

 

Rz. 107

Dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist die Kontrollbefugnis des Arbeitgebers vorgegeben, die ihm als Gläubigerrecht zusteht, soweit es um die vertragsgerechte Erbringung der Arbeitsleistung geht.[2] Ihm kann daher im Mitbestimmungsverfahren nicht verboten werden, technische Einrichtungen zur Überwachung von Verhalten oder Leistung der Arbeitnehmer einzusetzen. Bei Einführung und Anwendung ist allerdings zwingend der Betriebsrat zu beteiligen. Nach dem Bundesarbeitsgericht ist Inhalt des Mitbestimmungsrechts nicht der Schutz der Arbeitnehmer vor einer Überwachung ihres Verhaltens und ihrer Leistung, sondern der Schutz vor den besonderen Gefahren einer Überwachung unter Einsatz technischer Einrichtungen.[3]

 

Rz. 108

Wenn sich Betriebsrat und Arbeitgeber im Mitbestimmungsverfahren auf eine gemeinsame Regelung zu einer technischen Überwachungseinrichtung einigen, sind sie dabei grundsätzlich auch an das Bundesdatenschutzgesetz und die DSGVO gebunden.

 

Rz. 108a

Der Arbeitgeber wendet ein technisches Überwachungssystem im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auch an, wenn er im Einvernehmen mit einem Dritten seine Arbeitnehmer anweist, sich der Überwachung durch dessen technische Einrichtung zu unterwerfen.[4] Eine derartige Anweisung soll nicht schon deshalb mitbestimmungsfrei sein, weil die Überwachung in erster Linie oder gar ausschließlich im Interesse des Dritten erfolgt. Ebenso komme es auch nicht darauf an, ob der Arbeitgeber selbst Zugriff auf die erfassten Daten nehmen kann. Vielmehr ist es für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausreichend, wenn der Arbeitgeber die Entscheidung trifft, Informationen über das Verhalten der seiner Direktionsbefugnis unterliegenden Arbeitnehmer durch eine zur Überwachung bestimmte technische Einrichtung erfassen zu lassen. Der vom BAG in der oben genannten Entscheidung entwickelte Ansatz überrascht zumindest hinsichtlich des Umstands, dass auch Fälle erfasst werden sollen, bei denen der Arbeitgeber auf die von Dritten erhobenen Daten selbst keinen Zugriff hat. Eine Leistungs- oder Verhaltenskontrolle ist damit faktisch nicht möglich, der Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG vom Wortlaut her eigentlich nicht erfüllt. Diese "überschießende Tendenz" des BAG mag mit den Besonderheiten des Einzelfalls zu tun haben, den das BAG zu entscheiden hatte. Es ging nämlich um eine biometrische Zugangskontrolle mittels Authentifizierung durch ein Fingerprint-Scanner-System, welches die Arbeitnehmer im Betrieb eines Kunden zu durchlaufen hatten. Es handelte sich nicht etwa um ein anonymes und dami...

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