Leitsatz
Kernproblem der Entscheidung war die Frage, ob ein Unterhaltsberechtigter, der in der Erwerbsfähigkeit eingeschränkt und nur in begrenztem Umfang zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit verpflichtet ist, sich hierauf auch unterhaltsrechtlich berufen kann, wenn er aus sozialrechtlicher Sicht als erwerbsunfähig gilt.
Sachverhalt
Die Parteien hatten im Jahre 1972 geheiratet und lebten seit Juni 2003 getrennt. Der Beklagte zog aus dem im Alleineigentum der Klägerin stehenden Einfamilienhaus aus und zahlte an den gemeinsamen Sohn Unterhalt i.H.v. 439,00 EUR.
Die im Haus verbleibende Klägerin hatte keinen Beruf erlernt und begehrte ab Oktober 2003 Trennungsunterhalt über die von dem Beklagten freiwillig geleisteten Beträge hinaus. Sie war bis Ende Oktober 2003 im Umfang von 2 × 4 Wochenstunden in einer Steuerberaterkanzlei beschäftigt und erzielte hieraus ein monatliches Nettoeinkommen von 322,00 EUR. Das Arbeitsverhältnis wurde durch den Arbeitgeber zum 30.11.2003 gekündigt. Seither war die Klägerin arbeitslos. Sie war aufgrund gesundheitlicher Beschwerden in ihrer Erwerbsfähigkeit derart eingeschränkt, dass sie nur unter drei Stunden täglich arbeiten konnte. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente erhielt sie nicht.
Erstinstanzlich wurde der Klage auf Zahlung von Trennungsunterhalt stattgegeben. Klagegegenständlich waren jeweils lediglich die die freiwilligen Zahlungen des Beklagten übersteigenden Beträge.
Beide Parteien haben gegen die erstinstanzliche Entscheidung Berufung eingelegt.
Die Klägerin erstrebte Zahlung höherer Unterhaltsbeträge, der Beklagte verfolgte sein erstinstanzliches Begehren auf Klageabweisung weiter.
In der Sache hatte die Berufung des Beklagten überwiegend Erfolg, während das OLG das Rechtsmittel der Klägerin nahezu in vollem Umfang für unbegründet hielt.
Entscheidung
Das OLG hat der Klägerin zunächst die tatsächlich erzielten 322,00 EUR zugerechnet. Für den Zeitraum von November 2003 bis Januar 2004 wurde ihr eine Übergangszeit zur Arbeitssuche zugebilligt. Ab Februar 2004 sah das OLG einen Erwerbsobliegenheitsverstoß und rechnete der Klägerin angesichts der langen Ehezeit bis zum Ablauf von zwei Jahren nach der Trennung (bis Mai 2005) die vorher von ihr erzielten Einkünfte von 322,00 EUR zu. Für die Zeit danach ging das OLG unter Zugrundelegung von zwei/drei Stunden täglicher Arbeit von einem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von 400,00 EUR aus, das der Klägerin fiktiv zugerechnet wurde. Dabei könne sich die Klägerin nicht auf die sozialrechtlichen Kriterien der Erwerbsunfähigkeit stützen, da im Unterhaltsrecht andere Anforderungen gelten würden. Da ihre Arbeitsfähigkeit für zwei/drei Stunden täglich feststehe und sie bis Oktober 2003 tatsächlich auch einer Erwerbstätigkeit in vergleichbarem Umfang nachgegangen sei, treffe sie in diesem Umfang eine Obliegenheit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.
Hinweis
Bleibt bei dem Unterhaltsberechtigten trotz starker gesundheitlicher Probleme noch ein Rest von Erwerbsfähigkeit bestehen, muss dieser Rest aus unterhaltsrechtlicher Sicht eingesetzt werden, bevor ein anderer auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch genommen wird. Der anerkannte Grad einer Behinderung ändert an dieser Einschätzung nichts. So kann auch bei einer Behinderung mit einem anerkannten Grad von 70 % ein monatliches Nettoeinkommen von bis zu 890,00 EUR erzielbar sein, wenn Leistungsfähigkeit für eine vollschichtige, mittelschwere Erwerbstätigkeit feststeht (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 21.09.2005 - 2 UF 157/04 = FamRZ 2006, 566).
Link zur Entscheidung
OLG Zweibrücken, Urteil vom 16.06.2006, 2 UF 219/05