Rz. 101
Für die Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteils durch das türkische Gericht müssen die in Art. 54 türkIPRG vorgesehenen Vollstreckungsvoraussetzungen – außer lit. a und d – erfüllt sein (Art. 58 Abs. 1 türkIPRG). Das bedeutet konkret:
Rz. 102
aa) Das Urteil darf keinen Gegenstand betreffen, der in die ausschließliche Zuständigkeit der türkischen Gerichte fällt (Art. 54 lit. b türkIPRG); Angelegenheiten des Personalstatuts türkischer Staatsangehöriger gehören seit 1982 nicht mehr zur ausschließlichen Zuständigkeit der türkischen Gerichte (Art. 41 türkIPRG). Die einzige ausschließliche Zuständigkeit türkischer Gerichte ist im Bereich von Verfügungen über Immobilien gegeben (Art. 13 türkZPO). Daher ist dieser Punkt für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Scheidungsurteile in der Türkei irrelevant.
Rz. 103
bb) Das Urteil darf nicht offensichtlich gegen den ordre public verstoßen (Art. 54 lit. c türkIPRG). Da die Grenzen des ordre public wie im deutschen auch im türkischen Recht relativ unbestimmt sind und daher großenteils vom Ermessen des jeweiligen Richters abhängen, hat der türkische Gesetzgeber festgelegt, dass dieser Verstoß "offensichtlich" sein muss, um eine Anerkennung bzw. Vollstreckung ablehnen zu können. Doch schließt sich an dieses Offensichtlichkeitserfordernis wiederum das Problem an, dass in der türkischen Rechtslehre und -praxis nicht eindeutig geklärt ist, was unter einem "offensichtlichen" Verstoß gegen den türkischen ordre public zu verstehen ist. Nach einer Entscheidung des türkischen Revisionsgerichts verstößt ein deutsches Gerichtsurteil gegen den türkischen ordre public, wenn der Angeklagte nicht ordnungsgemäß zum Prozess geladen ist. Nach dem Urteil des türkischen Kassationshofes verstößt die Übertragung der elterlichen Sorge auf beide Elternteile gegen den türkischen ordre public (kamu düzeni), weil das türkische Recht die gemeinsame Ausübung der elterlichern Sorge nicht zulässt. Da gem. Art. 56 türkIPRG ein ausländisches Urteil auch nur teilweise anerkannt werden kann, erkennen die Gerichte die Übertragung des Sorgerechts auf beide Elternteile nicht an. Dies kann dazu führen, dass das Sorgerecht wieder zum Streitgegenstand wird, wenn die Eltern ihren Wohnsitz erneut in die Türkei verlagern. Der Kassationshof hat eine Entscheidung des englischen Gerichts hinsichtlich des gemeinsamen Sorgerechts nach der Scheidung in der Türkei anerkannt.
Die Sorgerechtsentscheidungen der türkischen Gerichte werden in Deutschland nicht anerkannt, falls die Entscheidungen ohne jegliche Prüfung des Kindeswohls erlassen wurden. Dass nach dem türkischen Recht keine einjährige Trennungszeit für die Scheidung vorgesehen ist, stellt in Deutschland kein Anerkennungshindernis dar.
Rz. 104
Praxishinweis: Da der türkische Richter mit dem Scheidungsurteil von Amts wegen auch die Sorgerechtsentscheidung trifft, ist ein Scheidungsurteil ohne Ausspruch zur elterlichen Sorge für diese Richterschaft irritierend und führt oft zur Nichtanerkennung dieser Scheidungsurteile. Daher muss der Rechtspfleger dafür Sorge tragen, dass das Scheidungsurteil auch eine Regelung des Sorgerechts beinhaltet.
Rz. 105
cc) Es muss in einem das Personalstatut von Türken betreffenden ausländischen Urteil das nach den türkischen Kollisionsnormen maßgebende Recht angewandt worden sein. Berücksichtigung findet dies jedoch nur, falls der beklagte türkische Staatsangehörige dies rügt (Art. 54 lit. e türkIPRG). Diese Vorschrift kommt mithin zur Geltung, wenn der Antragsgegner türkischer Staatsangehöriger ist und aus dem oben genannten Grunde Einwände gegen die Anerkennung bzw. Vollstreckung erhebt. Das nach den türkischen Kollisionsnormen maßgebende Recht bei Scheidung und Trennung ist das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten (Art. 14 Abs. 1 türkIPRG). "Falls die Ehegatten verschiedene Staatsangehörigkeiten haben, wird das Recht des gemeinsamen Wohnsitzes, bei Fehlen eines solchen das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts und, falls auch ein solcher fehlt, türkisches Recht angewandt" (Art. 14 Abs. 2 türkIPRG). Im Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsprozess muss vom türkischen Richter geprüft werden, welches nach den türkischen Kollisionsnormen das maßgebliche materielle Recht ist und ob es auch "tatsächlich" angewandt wurde.
Rz. 106
dd) Für die Anerkennung eines ausländischen Gerichtsurteils bedarf es – im Gegensatz zur Vollstreckung – nicht der Voraussetzungen des Art. 54 lit. a türkIPRG (Gegenseitigkeitsvoraussetzung) und des Art. 54 lit. c türkIPRG (Nichtvorhandensein eines Anfechtungsantrags von Seiten des Angeklagten, Art. 58 Abs. 1 S. 2 türkIPRG).