Rz. 56
Die Anordnung der Nacherbschaft ist im türkischen Recht – wie im schweizerischen Recht – nur einstufig möglich; eine Bestimmung von Nach-Nacherben ist folglich nicht möglich (Art. 521 Abs. 2 und Art. 522 Abs. 3 ZGB). Der Erblasser kann gem. Art. 521 Abs. 1 ZGB durch Verfügung von Todes wegen den eingesetzten Vorerben verpflichten, die Erbschaft an den Nacherben herauszugeben.
Rz. 57
Der Vorerbe wird Eigentümer der Erbschaft unter der Verpflichtung zur Auslieferung an den Nacherben (Art. 524 ZGB). Der Vorerbe kann erst gegen Stellung einer Sicherheit die Erbschaft in Besitz nehmen, es sei denn, der Erblasser hat ihn ausdrücklich von dieser Pflicht befreit. Bei Immobilien kann ein Vermerk in das Grundbuch als nötige Sicherheit betrachtet werden (Art. 523 Abs. 2 ZGB). Der Vorerbberechtigte hat als solcher keine volle Eigentümerposition inne, sondern eine dem Nießbraucher ähnliche Stellung. Ist der Vorerbberechtigte jedoch selbst pflichtteilsberechtigt, braucht er die Einsetzung eines Nacherben über seinen Pflichtteil nicht zu dulden und kann sich der Herabsetzungsklage bedienen (Art. 569 ZGB).
Rz. 58
Will der Erblasser, dass der Vorerbe eine bessere Rechtsstellung hat als die eines bloßen Nießbrauchers, kann er den Nacherben "auf den Überrest" einsetzen. Der Vorerbe erlangt auf diesem Wege die freie Verfügungsmöglichkeit über das Erbgut, kann aber nicht selbst von Todes wegen darüber verfügen und muss die Schenkungen und anderen Verfügungen unterlassen, die die Disposition des Erblassers unterlaufen (vgl. Art. 527 Abs. 2 ZGB).
Rz. 59
Der Zeitpunkt des Übergangs der Erbschaft vom Vor- auf den Nacherben kann im Testament festgelegt werden. Fehlt diese Festlegung, wird der Tod des Vorerben als dieser Zeitpunkt angenommen (Art. 522 Abs. 1 ZGB). Ist der Vorerbe vor Eintritt des im Testament festgelegten Zeitpunkts gestorben, geht die Erbschaft gegen Stellung einer Sicherheit auf die Erben des Vorerben über (Art. 522 Abs. 2 ZGB). Kann die Erbschaft aus irgendeinem Grunde nicht mehr an den Nacherben ausgeliefert werden, geht die Erbschaft auf den Vorerben, wenn dieser auch gestorben ist, endgültig auf die Erben des Vorerben über (Art. 522 Abs. 3 ZGB).
Rz. 60
Das Inventar aus dem Nachlass, das in die Obhut der Vorerben gelangt ist, wird vom Friedensgericht (sulh mahkemesi) aufgenommen (Art. 523 Abs. 1 ZGB). In den Fällen, in denen der Vorerbe die Stellung einer Sicherheit nicht leistet oder die Anwartschaft des Nacherben gefährdet (Art. 523 Abs. 3 ZGB), kann auch eine amtliche Erbschaftsverwaltung angeordnet werden.
Rz. 61
Für die Praxis ist die Nacherbeneinsetzung meistens in den Fällen interessant, wenn der Erblasser kinderlos ist, seinem Ehegatten die bestmögliche finanzielle Situation sichern möchte und nach Ableben des Ehegatten über das Erbgut nach eigenem Willen Anordnungen treffen möchte. Bspw. wenn er nicht will, dass die Kinder des Ehegatten aus einer eventuellen neuen Heirat Erben werden, sondern jemand anderes aus der eigenen Familie. Da bei der Bemessung der Erbschaftsteuer den Nachkommen und Ehegatten Steuerfreibeträge zustehen, ist diese Lösung erbschaftsteuerrechtlich die günstigere Lösung, wenn der Erblasser diese nahen Verwandten zu Nacherben bestimmt.