Rz. 37
Wie das schweizerische kennt auch das türkische Recht neben Testamenten die Möglichkeit vertraglicher Verfügungen. Gemeinschaftliche Testamente sind ihm fremd. Inhaltlich sind Erbeinsetzungen, Teilungsanordnungen und Vermächtnisse möglich, ferner die Einsetzung von Nacherben und Testamentsvollstreckern.
1. Testierfähigkeit
Rz. 38
Wer urteilsfähig ist und das 15. Lebensjahr vollendet hat, ist befugt, unter Berücksichtigung der gesetzlichen Schranken und Formen über sein Vermögen letztwillig zu verfügen (Art. 502 ZGB). Urteilsfähig im Sinne des ZGB ist ein jeder, dem nicht wegen seines Kindesalters oder infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit oder ähnlichen Zuständen die Fähigkeit fehlt, vernunftsgemäß zu handeln (Art. 13 ZGB).
Rz. 39
Wird über die Testierfähigkeit nachträglich vor Gericht gestritten, ist ein Gutachten des forensischen Amtes (Adli Tip Kurumu) erforderlich.
2. Testamentsformen
Rz. 40
Die Typenstrenge und der "rigorose Formalismus" werden im türkischen Recht durch den Grundsatz favor testamenti abgemildert. Eine letztwillige Verfügung kann mit öffentlicher Beurkundung, eigenhändig oder durch mündliche Erklärung errichtet werden (Art. 531 ZGB). Ist das Testament unter Verstoß gegen die gesetzlichen Formerfordernisse errichtet worden, so ist es nicht ipso iure unwirksam. Vielmehr ist es vom Gericht als wirksam zu behandeln, sollte es nicht von einem der Nachlassbeteiligten innerhalb eines Jahres nach Eintritt des Erbfalls durch Klage vor Gericht angefochten worden sein. Das Recht auf Erhebung dieser Klage ist nach Ablauf eines Jahres verwirkt. Die Frist beginnt mit Kenntnis von der Verfügung, vom Grund der Annullierung oder mit der Kenntnisnahme über die Erbberechtigung (Art. 559 Abs. 1 ZGB). Die Verwirkung tritt aber spätestens zehn Jahre (nach altem Recht fünf und gegenüber dem böswilligen Begünstigten nach 20 Jahren) nach Eröffnung der letztwilligen Verfügung bzw. bei lebzeitigen Verfügungen nach Eintritt des Erbfalls ein, Art. 571 ZGB (zuvor Art. 513 ZGB). Nach Verwirkung kann das Herabsetzungsrecht nur noch einredeweise geltend gemacht werden (Art. 559 Abs. 2 ZGB; Art. 571 Abs. 3 ZGB).
Das türkische Recht kennt das sog. Berliner Testament (ein gemeinschaftliches Testament von Ehepartnern) nicht. Solche Testamente sind nichtig. Folge ist, dass das Testament angefochten werden kann. Wird es nicht fristgemäß angefochten, so ist es dennoch wirksam. Da es sich um eine Formfrage handelt. kann zudem das Verbot gemeinschaftlicher Testamentserrichtung durch Ehegatten umgangen werden, in dem sie das Testament in Deutschland nach der Ortsform errichten.
a) Das öffentliche Testament
Rz. 41
Unter Mitwirkung von zwei Zeugen erfolgt die öffentliche letztwillige Verfügung vor dem "offiziellen Beamten", Friedensgericht, Notar oder einem anderen Beauftragten, der nach dem Gesetz mit diesen Geschäften betraut ist (Art. 532 ZGB). Was mit dem "offiziellen Beamten" gemeint ist, wird in der Literatur möglicherweise zu einem lebendigen Streit führen. Dabei gibt es eine einfache Erklärung: Der Gesetzgeber wollte bei der Reform keine inhaltlichen Änderungen zu diesem Artikel vornehmen. Bei der Angleichung des Wortlauts an das schweizerische ZGB (Art. 499 schwZGB) hat sich der türkische Gesetzgeber in einen unsinnigen Wortsalat begeben.