Das Wichtigste in Kürze:
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Wird dem Verteidiger ein sog. Haftmandat angetragen – der Mandant befindet sich also bereits in Haft – muss der Verteidiger sich darüber im Klaren sein, dass dieses Mandat besondere Anforderungen an ihn stellen und zu einer besonderen Arbeitsbelastung führen kann |
2. |
Stellt sich die Haftfrage erst, nachdem der Verteidiger das Mandat übernommen hat, im Laufe des EV, muss der Verteidiger versuchen, durch geeignete Maßnahmen den Erlass des HB zu verhindern. |
Rdn 4656
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil U Rdn 4649, bei → Akteneinsicht, Beschränkung, Teil A Rdn 303 und bei → Verteidiger, Übernahme des Mandats, Teil V Rdn 5226.
Rdn 4657
1. Wird dem Verteidiger ein sog. Haftmandat angetragen – der Mandant befindet sich also bereits in Haft – muss der Verteidiger sich darüber im Klaren sein, dass dieses Mandat besondere Anforderungen an ihn stellen und zu einer besonderen Arbeitsbelastung führen kann (Herrmann, Rn 1 ff.; Schlothauer/Nobis u.a., Rn 31; Schmitz NJW 2009, 40; dies., NJW 2010, 1728; → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil U Rdn 4649 m.w.N.; allgemein zur Übernahme des Mandats → Verteidiger, Übernahme des Mandats, Teil V Rdn 5225). Denn:
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Diesen Mandaten liegen i.d.R. schwerwiegende Tatvorwürfe zugrunde, die ggf. eigene Ermittlungen des Verteidigers, erfordern (→ Verteidiger, Eigene Ermittlungen des Verteidigers, Teil V Rdn 5131. |
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Der Verteidiger hat hier i.d.R. auch zusätzlich nicht unmittelbar mit dem Tatvorwurf zusammenhängende Anträge, die ihren Ursprung in der Haftsituation haben, zu bearbeiten (z.B. Haftbeschwerden, Haftprüfungen durch das OLG gem. §§ 121, 122, dazu Hillenbrand ZAP 2022, S. 1077; zur Haftvermeidung durch elektronische Fußfessel Fleckenstein StraFo 2022, 302). |
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Auch muss er gerade bei diesen Mandaten damit rechnen, dass der Mandant einen/mehrere andere Verteidiger beauftragt (hat), weil ihm dies in der Haftanstalt von Mitinsassen so geraten worden ist. Zudem sind die Fälle des "Mandantenklaus" häufig (Schlothauer/Nobis u.a., Rn 32; Herrmann, Rn 5). |
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Die Verteidigung ist zudem auch oftmals dadurch erschwert, dass der Verteidiger seinen Mandanten – i.d.R. mehr als einmal – in der Haftanstalt besuchen muss, wenn er das für die Verteidigung notwendige Vertrauensverhältnis zu ihm aufbauen will. Zu den Mindeststandards der Verteidigertätigkeit gehört ein Mindestmaß an Bemühungen um Kontaktaufnahme zum (inhaftierten) Mandanten (BGH NStZ 2009, 465). |
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Der Verteidiger muss sich auf die Auswirkungen der Haft auf den inhaftierten Mandanten einstellen (dazu Festag/Gehrmann StraFo 2022, 308). |
Rdn 4658
2.a) Stellt sich die Haftfrage erst, nachdem der Verteidiger das Mandat übernommen hat, im Laufe des EV, z.B. weil sich mit zunehmender Ermittlungstätigkeit eine Verdachtsschwere entwickelt, die zum HB führt, muss der Verteidiger versuchen, durch geeignete Maßnahmen den Erlass des HB zu verhindern. Dazu bietet es sich an, sofort mit den Ermittlungsbehörden und/oder der StA Kontakt aufzunehmen und zu klären, ob nicht bereits jetzt etwas unternommen werden kann, das sich später dazu eignet, die Voraussetzungen der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr zu verneinen (zur Verteidigungsstrategie, um Untersuchungshaft zu vermeiden, Rückel StV 1995, 37, und Lammer StraFo 1999, 366, der mit Recht zu einer grds. eher kooperativen Verteidigungsstrategie rät).
☆ Prüfungsmaßstab für den Verteidiger muss – ebenso wie für das Gericht bei Erlass eines HB – immer die Frage sein, ob die Verhängung der U-Haft – als ultima ratio – wegen überwiegender Belange des Gemeinwohls zwingend geboten ist (EGMR NJW 2005, 3125; BVerfGE 53, 152, 158; LR- Lind , vor § 112 Rn 19 m.w.N.), nicht ausreichend ist, ob U-Haft angeordnet werden kann (KG StV 2014, 26; 2017, 450; StraFo 2016, 510 [für U-Haft zwischen nicht rechtskräftigem Urteil und Vollstreckungsbeginn]; auch noch BGH NStZ 2017, 418, wenn U-Haft nicht mehr nötig ist).U-Haft – als ultima ratio – wegen überwiegender Belange des Gemeinwohls zwingend geboten ist (EGMR NJW 2005, 3125; BVerfGE 53, 152, 158; LR-Lind, vor § 112 Rn 19 m.w.N.), nicht ausreichend ist, ob U-Haft angeordnet werden kann (KG StV 2014, 26; 2017, 450; StraFo 2016, 510 [für U-Haft zwischen nicht rechtskräftigem Urteil und Vollstreckungsbeginn]; auch noch BGH NStZ 2017, 418, wenn U-Haft nicht mehr nötig ist).
Rdn 4659
b)aa) Wird dem Verteidiger das Mandat erst nach Erlass des HB/Inhaftierung des Mandanten angetragen, muss er – neben den allgemein bei der → Verteidiger, Übernahme des Mandats, Teil V Rdn 5225, zu berücksichtigenden Fragen – Folgendes beachten (s.a. Herrmann, Rn 1 ff.; Schlothauer/Nobis u.a., Rn 21 ff.; Schmitz NJW 2009, 40; dies., NJW 2010, 1728):
Rdn 4660
Allgemeine Fragen Haftmandat
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Ist er dem U-Haft-Mandat überhaupt zeitlich gewachsen, da zusätzlich zu den allgemeinen Aktivitäten des Verteidigers aufgrund der Haftsituation des Mandanten besondere Tätigkeiten erforderlich werden können (Haftprüfungsanträge, Haftbeschwerden usw.)... |