Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Verstößt der Beschuldigte gegen Auflagen oder Weisungen, wird der HB ggf. wieder in Vollzug gesetzt. |
2. |
Für die Praxis von erheblicher Bedeutung ist der "Widerrufsgrund" der "neu hervorgetretenen Umstände" (§ 116 Abs. 4 Nr. 3). |
3. |
Die Außervollzugsetzung erfolgt von Amts wegen oder auf Antrag durch gerichtlichen Beschluss. |
Rdn 4700
Literaturhinweise:
S.a. die Hinw. bei → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil U Rdn 4650, und bei → Untersuchungshaft, Haftbefehl, Außervollzugsetzung, Teil U Rdn 4680.
Rdn 4701
1. Nach § 116 Abs. 4 wird der Vollzug des HB wieder angeordnet, wenn der Beschuldigte den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt (§ 116 Abs. 4 Nr. 1), er Anstalten zur Flucht trifft (§ 116 Abs. 4 Nr. 2) oder neu hervorgetreten Umstände die Verhaftung erforderlich machen (§ 116 Abs. 4 Nr. 3). Die Wiederanordnung setzt aber voraus, dass der Verschonte positive Kenntnis vom Verschonungsbeschluss hatte (OLG Köln, Beschl. v. 14.11.2019 – 2 Ws 581/19, StV 2021, 183 [Ls.]).
Rdn 4702
2.a) Für die Praxis von erheblicher Bedeutung ist der "Widerrufsgrund" der "neu hervorgetretenen Umstände" in § 116 Abs. 3 Nr. 4. Dabei kann es sich sowohl um neue, die Flucht-/Verdunkelungsgefahr erhöhende Umstände als auch um solche handeln, die bei einer Würdigung der (Gesamt-)Umstände zur Versagung der Außervollzugsetzung geführt hätten (u.a. BVerfG, Beschl. v. 8.7.2021 – 2 BvR 575/21, NJW 2021, 2389; KG, Beschl. v. 29.10.2021 – 2 Ws 114/21; OLG Koblenz StraFo 1999, 322; OLG Braunschweig StV 2017, 456 [Ls.]; OLG Celle, Beschl. v. 26.3.2021 – 2 Ws 82/21, StV 2021, 600 [Ls.]; OLG Düsseldorf StV 2002, 207; OLG Hamm NStZ-RR 2015, 283 [Ls.} m. Anm. Lorenz StRR 2015, 277; OLG Karlsruhe StV 2005, 445 [Ls.]; OLG Köln, Beschl. v. 14.11.2019 – 2 Ws 581/19, StV 2021, 183 [Ls.]; OLG München, Beschl. v. 5.1–.2019 - 2 Ws 1116/19, NStZ 2020, 627; OLG Nürnberg StV 2013, 519; Meyer-Goßner/Schmitt, § 116 Rn 28 m.w.N.; eingehend SSW-StPO/Herrmann, § 116 Rn 51 ff.; D. Herrmann StRR 2013, 12 ff.). Nach der Rspr. des BVerfG (StV 2008, 25) ist allerdings darauf zu achten, dass die neu hervorgetretenen Umstände sich grds. nicht auf den dringenden Tatverdacht beziehen können, da dieser schon bei Erlass des ursprünglichen HB gegeben sein muss (BVerfG, a.a.O.; StV 2013, 94). Es reicht auch nicht aus, wenn sich der bei Außervollzugsetzung des HB schon bestehende Verdacht einer weiteren Tat später bis zur Schwelle des dringenden Tatverdachts verdichtet hat. Das rechtfertigt die Erweiterung der Haftgrundlage, nicht aber die Rücknahme der Haftverschonung (OLG Braunschweig, a.a.O.; OLG Karlsruhe StV 2005, 445 [Ls.]; enger OLG Schleswig SchlHA 2007, 284 [Dö/Dr]). Diese Grundsätze gelten auch für den Haftgrund der "Wiederholungsgefahr" (OLG Braunschweig, a.a.O., s. dazu noch LG Würzburg, Beschl. v. 12.12.2022 – 1 Qs 192/22, StRR 4/2023, 31).
Rdn 4703
b) Entscheidend für den "Widerruf" der Haftverschonung ist, ob die Vertrauensgrundlage, auf die sie gestützt ist, entfallen ist (BVerfG NJW 2006, 1787 [Ls.]; Beschl. v. 8.7.2021 – 2 BvR 575/21, NJW 2022, 2389; StV 2006, 26; 2007, 84; 2008, 25; 2013, 94; wistra 2012, 429; Beschl. v. 17.12.2020 – 2 BvR 1787/20; BGH, Beschl. v. 18.5.2016 – StB 11/16; s.u.a. KG, Beschl. v. 22.2.2019 – (4) 161 HEs 11/19 (4/19), StV 2019, 567; Beschl. v. 29.10.2021 – 2 Ws 114/21; OLG Braunschweig StV 2017, 456 [Ls.]; OLG Celle, Beschl. v. 26.3.2021 – 2 Ws 82/21, StV 2021, 600 [Ls.]; OLG Dresden, Beschl. v. 2.2.2024 – 1 Ws 18/24, StV 2024, 321 [Ls.]; OLG Frankfurt am Main StV 2010, 586; 2018, 166 [Ls.]; OLG Hamm NStZ-RR 2015, 283 [Ls.] m. Anm. Lorenz StRR 2015, 277; Beschl. v. 7.8.2012 –2 Ws 252/12; OLG Köln, Beschl. v. 14.11.2019 – 2 Ws 581/19, StV 2021, 183 [Ls.]; OLG München, Beschl. v. 5.12.2019 - 2 Ws 1116/19, NStZ 2020, 627; OLG Nürnberg, Beschl. v. 6.3.2019 – 2 Ws 124/19). "Neu" i.S.v. § 116 Abs. 4 Nr. 3 sind nachträglich eingetretene oder nach Erlass des Aussetzungsbeschlusses bekannt gewordene Umstände nur dann, wenn sie die Gründe des Haftverschonungsbeschlusses in einem so wesentlichen Punkt erschüttern, dass keine Aussetzung bewilligt worden wäre, wenn sie bei der Entscheidung bereits bekannt gewesen wären (die vorstehende Rspr. des BVerfG, jeweils a.a.O., m.w.N.; OLG Bamberg StraFo 2005, 421; OLG Düsseldorf, a.a.O.; StRR 2014, 42 [Ls.]; OLG München, a.a.O.; OLG Nürnberg StV 2013, 519; OLG Stuttgart StraFo 2009, 104). Allein eine andere Beurteilung des unveränderten Sachverhalts reicht für den Widerruf nicht aus (BVerfG StV 2007, 84; Beschl. v. 17.12.2020 – 2 BvR 1787/20; u.a. OLG Köln, Beschl. v. 14.11.2019 – 2 Ws 581/19, StV 2021, 183 [Ls.]). Dieser enge Maßstab gilt erst recht, wenn der HB nicht nur außer Vollzug gesetzt, sondern wegen Nichtvorliegens des nun angenommenen Haftgrundes aufgehoben worden war (OLG Dresden, StV 2009, 477).
☆ Nicht ausreichend für eine Invollzugsetzung sind bloße Nachlässigkeiten des Beschuldigten/Angeklagten (KG NStZ 2004, 80 für Verspätun...