Rdn 3307
Literaturhinweise:
R. Hamm, Öffentliche Urteilsberatung, NJW 1992, 3147
Seifert, Studenten im Beratungszimmer – ein Verstoß gegen § 193 I GVG?, MDR 1996, 125
s.a. die Hinw. bei → Urteilsverkündung, Teil U Rdn 3315.
Rdn 3308
1. Nach § 260 Abs. 1 muss eine Beratung des Urteils stattfinden, und zwar nach den Schlussvorträgen von StA und Verteidiger und dem letzten Wort des Angeklagten (BGH NStZ 2010, 650; OLG Köln NStZ 2010, 715; StV 1996, 13). Das schließt insbesondere in umfangreichen Verfahren eine (Vor-)Beratung nicht aus, so z.B., wenn es um die Beurteilung einer Vielzahl von im Wege des Urkundenbeweises in die HV eingeführten Urkunden geht. Entscheidend ist aber, dass auch in diesen Fällen immer nach den Schlussvorträgen des StA und des Verteidigers noch eine Schlussberatung erfolgt. Die Berufsrichter können sich jedoch schon vor den Schlussvorträgen durch die Fertigung eines Votums/Urteilsentwurfs entsprechend dem Verfahrensstand auf die Urteilsberatung vorbereiten (BGH wistra 2005, 110; → Ablehnungsgründe, Befangenheit, Verhalten/Äußerungen des Richters, Teil A Rdn 98).
Rdn 3309
2.a) Die mit der geheimen (§§ 43, 45 Abs. 1 S. 2 DRiG) Urteilsberatung zusammenhängenden Fragen sind grds. nur für das Gericht von Bedeutung. Von Belang für den Verteidiger ist, wer an der Urteilsberatung teilnehmen darf (Teil U Rdn 3310) und ob, wenn nach der Beratung nochmals in die Beweisaufnahme eingetreten worden ist, ausreichend (nach-)beraten wurde (s. Teil U Rdn 3313).
Rdn 3310
b) Wer bei der Beratung anwesend sein darf, regelt § 193 GVG. Das sind nach § 193 Abs. 1 GVG die zur Entscheidung berufenen Richter sowie die bei demselben Gericht zu ihrer juristischen Ausbildung beschäftigten Personen (Referendare) und die dort beschäftigten wissenschaftlichen Hilfskräfte, soweit der Vorsitzende deren Anwesenheit gestattet (zur Zulässigkeit der Anwesenheit ausländischer Juristen § 193 Abs. 2 GVG).
☆ Studenten , die bei einem Gericht ein Praktikum ableisten, dürfen nicht an den Urteilsberatungen teilnehmen (dazu Meyer-Goßner/Schmitt , § 193 GVG Rn 5 m.w.N. aus der älteren Rspr.; so BGHSt 41, 119 m.w.N.). Das gilt/galt auch für Studenten der zweistufigen Juristenausbildung (BGH, a.a.O.; a.A. Seifert MDR 1996, 125)., die bei einem Gericht ein Praktikum ableisten, dürfen nicht an den Urteilsberatungen teilnehmen (dazu Meyer-Goßner/Schmitt, § 193 GVG Rn 5 m.w.N. aus der älteren Rspr.; so BGHSt 41, 119 m.w.N.). Das gilt/galt auch für Studenten der zweistufigen Juristenausbildung (BGH, a.a.O.; a.A. Seifert MDR 1996, 125).
Rdn 3311
c) I.d.R. zieht sich das Gericht zur Beratung in das Beratungszimmer zurück (BGH NStZ-RR 2002, 71 [Be; regelmäßig empfehlenswert]). Der Einzelrichter beim AG schreibt den Urteilstenor meist im Sitzungssaal, was nicht zu beanstanden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 260 Rn 3; OLG Köln NStZ 2005, 710). Allerdings darf auch er die Urteilsformel erst nach dem letzten Wort des Angeklagten und nicht schon beim → Plädoyer des Verteidigers, Teil P Rdn 2526, niederschreiben.
Rdn 3312
Ist beraten worden und kommt es danach zu einem → Wiedereintritt in die Beweisaufnahme, Teil W Rdn 4164, muss, nachdem StA und Verteidiger erneut Schlussvorträge gehalten haben und der Angeklagte das letzte Wort hatte, nochmals beraten werden (BGHSt 24, 170 f.; BGH NStZ 2010, 650 [auch zur Beruhensfrage]; StV 1998, 530 m.w.N.; 2011, 728; NStZ-RR 2002, 71 [Be; auch nach Erklärung eines als Beistand zugelassenen Familienangehörigen]; StV 2006, 399 [für Unschuldsbeteuerungen des Angeklagten im letzten Wort]). Das gilt auch, wenn in der erneuten Beweisaufnahme kein neuer Prozessstoff behandelt worden ist (zuletzt BGH NStZ 2001, 106) oder wenn bei der Entscheidung einfacher Fragen rascheste Verständigung möglich ist (BGH StV 2011, 728 m.w.N.).
Rdn 3313
Diese – grds. zulässigen – Nachberatungen (BGHSt 24, 179, 171) finden häufig im Gerichtssaal statt (sog. "Tischberatung"; BGH NStZ-RR 2017, 130 [Ci/Ni]). Der Verteidiger muss hier sorgfältig darauf achten, dass tatsächlich beraten wird, also eine Abstimmung innerhalb des Gerichts stattfindet. Dazu wird sich der Vorsitzende an alle Gerichtsmitglieder wenden müssen, also auch an die Schöffen, damit alle erkennen können, dass es sich um eine (Nach-)Beratung in abgekürzter Form innerhalb des Gerichtssaales handelt (st.Rspr.; u.a. BGHSt 19, 156; zuletzt BGH StV 1998, 530). Nicht ausreichend ist der Hinweis des Vorsitzenden an die Beisitzer, sie sollten sich melden, wenn sie eine nochmalige Beratung wünschten (BGH NStZ 1988, 470) oder auch die für die Schöffen hörbare Frage an die Berufsrichter, ob sie eine Beratung wünschten (BGHSt 19, 156).
☆ Hat nach Auffassung des Verteidigers keine ausreichende (Nach-)Beratung (mehr) stattgefunden, muss er die mit der Beratung zusammenhängenden Vorgänge in seiner Handakte festhalten , um sie später in der Revision mit der Verfahrensrüge vortragen zu können (die Fallgestaltungen bei BGH StV 2006, 399; 2011, 728; zur Beruhensfrage BGH NStZ 2010, 650; zum erforderlichen...