Leitsatz
Die Eltern eines minderjährigen Kindes stritten sich um das Umgangsrecht des Vaters mit dem Sohn. Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung des wahren Kindeswillens erforderlich ist, wenn das Kind einen Umgang mit dem nicht betreuenden Elternteil ablehnt.
Sachverhalt
Aus der Beziehung der nicht miteinander verheirateten Eltern ging ein im August 2001 geborener Sohn hervor, der seit der Trennung der Eltern im Juni 2008 bei der Mutter lebte. Seit der Trennung der Eltern stritten sie sich um das Umgangsrecht des Vaters mit dem Sohn.
Im Oktober 2009 schlossen die Eltern eine gerichtlich gebilligte Vereinbarung, mehrfache Verstöße der Mutter hiergegen wurden mit der Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen sie geahndet.
Im März 2011 begehrte der Vater einen modifizierten Wochenend- und Ferienumgang mit dem Sohn. Die Mutter trat dem Antrag entgegen und erstrebte zuletzt den Ausschluss des Umgangsrechts des Vaters.
Das erstinstanzliche Gericht hat im Beisein seines Verfahrensbeistandes das Kind sowie die Eltern und das Jugendamt persönlich angehört und sodann das Umgangsrecht des Vaters für die Dauer von 24 Monaten ausgeschlossen.
Hiergegen wandte sich der Vater mit der Beschwerde. Sein Rechtsmittel führte zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FamG.
Entscheidung
Das OLG kam zu dem Ergebnis, das Verfahren des erstinstanzlichen Gerichts leide an einem wesentlichen Mangel, da das Familiengericht verfahrensfehlerhaft seiner Pflicht, den entscheidungserheblichen Sachverhalt amtswegig zu ermitteln, nicht genügt habe.
In Kindschaftssachen seien stets besondere Anforderungen an die tatrichterliche Sachaufklärung zu stellen. Da das Umgangsrecht eines Elternteils unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG stehe, seien an die Einschränkung oder gar den Ausschluss des Umgangsrechts eines Elternteils strenge Maßstäbe anzulegen, deren Wahrung das Gericht von Amts wegen und wegen des stets letztentscheidenden Kindeswohls auch unabhängig von einem etwaigen Einvernehmen der Eltern zu überprüfen habe (vgl. dazu BGH FamRZ 2012, 533).
Eine Einschränkung des Umgangsrechts sei nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordere, um eine Gefährdung seiner seelischen und körperlichen Entwicklung abzuwehren (vgl. zum Ganzen BVerfG FamRZ 2010, 1622; 2009, 399; BGH FamRZ 1994, 158; OLG Saarbrücken vom 24.1.2011 - 6 UF 116/10 -, FamRZ 2011, 1409).
Letzteres setze eine gegenwärtige Gefahr in solchem Maße voraus, dass sich bei ihrem weiteren Fortschreiten eine erhebliche Schädigung der weiteren Entwicklung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lassen müsse.
Der von dem betroffenen Kind geäußerte Wille habe nicht nur Erkenntniswert hinsichtlich seiner persönlichen Bindungen auch zum Umgangsberechtigten, sondern sei mit zunehmendem Alter auch als Ausdruck der Entwicklung des Kindes zu einer eigenständigen Persönlichkeit bedeutsam. Weil der Kindeswille nur insoweit zu berücksichtigen sei, als er dem Kindeswohl entspreche und in tatsächlicher Hinsicht in Rechnung zu stellen sei, dass ein durch ein Elternteil maßgeblich beeinflusster Kindeswille nicht beachtlich sei, müsse das Kind im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit erhalten, seine wirklichen persönlichen Beziehungen zu den Eltern erkennbar werden zu lassen (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 1622; 2009, 399 und 1897).
An diesen verfassungs- und einfachrechtlichen Maßstäben gemessen hätte das Familiengericht vorliegend nicht ohne Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens entscheiden dürfen, da greifbare Anhaltspunkte dafür beständen, dass der von dem 10 Jahre alten Sohn geäußerte ablehnende Wille gegenüber einem Umgang mit seinem Vater möglicherweise nicht seinem wirklichen Willen und seiner wahren Bindung zu seinem Vater entspreche.
Das Verhältnis des Vaters zum Sohn sei durch Verhaltensweisen des Antragstellers ohne Zweifel stark belastet. Das Kind gebe an, gegenwärtig keinen Umgangskontakt haben zu wollen. Anlässlich zweier Telefonate mit seinem Vater habe sich der Sohn bezüglich zukünftigen Umgangs mit ihm jedoch positiv geäußert, auch Kontakte zum Großvater konnte er sich vorstellen.
In seiner Anhörung habe das Kind dem Vater Geschehnisse vorgeworfen, die er selbst nicht wahrgenommen hatte. Darüber hinaus sei gerichtsbekannt, dass die Mutter ihrer Umgangsförderungspflicht seit langem nicht nachkomme.
Bei diesen Gesamtumständen hätte das erstinstanzliche Gericht ohne sachverständige Beratung nicht den Schluss ziehen dürfen, dass es dem wahren Willen des Kindes entspreche, keinen Umgang zu seinem Vater zu haben.
Unabhängig davon hätten im Übrigen auch mildere Maßnahmen wie eine Umgangspflegschaft oder begleiteter Umgang vor einem völligen Ausschluss des Umgangsrechts erwogen werden müssen.
Link zur Entscheidung
Saarländisches OLG, Beschluss vom 03.04.2012, 6 UF 10/12