Dr. Klaus-Peter Horndasch
Die Häufigkeit des Kontakts des Kindes mit dem nicht mit ihm zusammen lebenden Elternteil ist eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung für eine bleibend enge Beziehung zwischen dem Kind und dem betreffenden Elternteil. Von großer Bedeutung für die Beziehung und damit für das Wohl des Kindes ist, was inhaltlich geschieht, was also der Elternteil und das Kind miteinander (er)leben, welche Erfahrungen und Bedürfnisse sie austauschen können und wie umfassend die Lebenswelt des Kindes in die Gemeinsamkeit mit dem Elternteil einbezogen ist. Dies gilt in jedem Alter des Kindes.
Zur Lebenswelt eines Kindes gehört aber nicht nur der Tag, sondern auch die Nacht, das Erlebnis des Einschlafens, des Aufwachens am Morgen oder auch der Unterbrechung des Schlafes in der Nacht. Diese Lebenswelt des Kindes vollständig von einem Elternteil loszulösen, schränkt den Umgang von Kind und Elternteil ganz wesentlich ein. Hierfür bedarf es einer besonderen Rechtfertigung. Das Wohl des Kindes muss durch eine Übernachtung gefährdet sein. Eine solche Kindeswohlgefährdung ist – naturgemäß – für jedes Alter festzustellen.
Übernachtungen sind daher völlig unabhängig vom Alter des Kindes in den Umgang einzubeziehen. Selbst ein noch von der Mutter gestilltes Kind wird in der Regel beim Vater übernachten können, wenn die Milch abzupumpen ist. Gestaffelte Umgangsregelungen, die das Alter des Kindes zum Gegenstand haben (Übernachtungen "ab dem 4. Lebensjahr"), sind abzulehnen.
Auch Überlegungen dahingehend, zu prüfen, ob es sich bei der Wohnung des betreffenden Elternteils um "eine für das Kind vertraute Umgebung" handelt, sind unangebracht. Das Kind hält sich während des Tages ebenfalls in dieser Umgebung auf, so dass keine Änderung für die Nachtzeit eintritt. Die Wohnung ist für das Kind durch das Tageserlebnis mit dem Elternteil verbunden und dadurch bereits positiv belegt. Das Herausreißen für die Nacht, das im Gegensatz zu seiner sonstigen Lebenserfahrung steht, führt dagegen zu einer Einordnung außerhalb einer "normalen" Lebensführung und wirkt trennend statt stärkend und entspannend.
Ebenso wenig sind die Größe der Wohnung, ja auch das – aktuell noch fehlende – Kinderbett ein ausreichender Grund, die Umgangskontakte einzuschränken. Kinder müssen die Realität der Lebensführung des betreffenden Elternteils kennenlernen und tun dies bereits durch die Aufnahme des Umgangs. Es schadet dem Kindeswohl, diese Erfahrungen im Umgang mit dem jeweils anderen Elternteil nur auf einen bestimmten Teil des Lebens zu beschränken und einen anderen wichtigen Lebensteil, die Übernachtung von dem Kind abzutrennen.
Besteht eine große Entfernung zwischen dem Wohnort des Kindes und des umgangsberechtigten Elternteils, sind an die Voraussetzungen zur Verweigerung von Übernachtungen des Kindes besonders hohe Anforderungen zu stellen, da die Einschränkung faktisch zu einer Verweigerung des Umgangs führen kann. Größere Entfernungen an einem Tag mit zwei Strecken zurück zu legen, kann für sich bereits eine Überforderung des Kindes sein, so dass dann ggf. der Umgang überhaupt nicht möglich sein wird. Diesen faktischen Umgangsausschluss durch Verweigerung von Übernachtungen anzuordnen, verbietet sich aus dem grundrechtlich gem. Art. 6 II GG geschützten Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Elternteilen. Ausnahmen können nur bei Vorliegen von konkreten, sehr gewichtigen Gründen in Betracht kommen, die das Wohl des Kindes nachhaltig berühren.