1 Leitsatz
§ 16 Abs. 2 Satz 2 WEG ist nur anwendbar, wenn jeder Wohnungseigentümer bereits aufgrund einer vormaligen Kostenregelung einen Anteil hätte tragen müssen.
2 Normenkette
§ 16 Abs. 2 Satz 2 WEG
3 Das Problem
Die Wohnungseigentümer beschließen, dass die Kosten für den Einbau eines neuen Tiefgaragentors mit Fluchttür zur Sicherung eines 2. Rettungswegs in Höhe von 6.988,42 EUR brutto nach dem Verhältnis der jeweiligen Miteigentumsanteile von sämtlichen Eigentümern getragen und aus der Erhaltungsrücklage entnommen werden sollen. Ferner soll am Tiefgaragentor ein neuer Motor für 1.056,15 EUR brutto angebracht werden.
Dagegen wendet sich Wohnungseigentümer K. Er verweist auf die Gemeinschaftsordnung. Dort heißt es: "Die Sondereigentümer der Tiefgarage tragen alle Kosten der Unterhaltung (einschließlich Winterdienst), Instandsetzung und Erneuerung der Tiefgarage mit allen ihren Bestandteilen und Einrichtungen sowie der Zu- und Abfahrt von der Grundstücksgrenze im Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile. … Die Verpflichtung zur Ansammlung einer Instandhaltungsrücklage besteht für die Gemeinschaft nur hinsichtlich der von allen Wohnungs-/Teileigentümern instandzuhaltenden Gebäudeteile, Anlagen und Einrichtungen."
K meint, diese Vereinbarung könne nicht geändert werden. § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG ändere nichts. Diese Bestimmung sei nicht anwendbar, da er bislang keine Kosten habe tragen müssen.
4 Die Entscheidung
Die Klage hat Erfolg! Die Beschlüsse würden gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßen. Nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG könne jeder Wohnungseigentümer eine ordnungsmäßige Verwaltung verlangen. Die Wohnungseigentümer müssten sich daher an ihre Vereinbarungen halten. Zwar gehe es bei dem ersten Beschluss wegen des bauordnungsrechtlich vorgeschriebenen Rettungswegs darum, das gemeinschaftliche Eigentum erstmalig ordnungsmäßig herzustellen. Und die Frage, ob in solchen Fällen die Kosten alle Wohnungseigentümer träfen oder eine Vereinbarung etwas anderes bestimmen könne, werde uneinheitlich beantwortet. Richtig sei es aber, die Vereinbarung anzuwenden.
Wenn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer meine, § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG lasse eine Änderung der Kostenvereinbarung zu, sei das Gericht "der festen Auffassung", dass diese Vorschrift vom Wortlaut und der im Zusammenhang mit dem in § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG grundsätzlich bereits als bestehend vorausgesetzten Kostentragungspflicht keine Möglichkeit einräume, eine erstmalige Kostentragungspflicht zu begründen. § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG sei nur anwendbar, wenn jeder Wohnungseigentümer bereits aufgrund einer vormaligen Kostenregelung einen Anteil habe tragen müssen.
5 Hinweis
Problemüberblick
In dem Fall geht es erstens um die Frage, ob eine Umlagevereinbarung auf die erstmalige ordnungsmäßige Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums anwendbar ist. Zum anderen geht es um den Anwendungsbereich von § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG.
Erstmalige ordnungsmäßige Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums
Ob eine Umlagevereinbarung von Anfang an anzuwenden ist oder erst dann, wenn das gemeinschaftliche Eigentum erstmalig ordnungsmäßig hergestellt ist, ist streitig. Die h. M. nimmt an, dass die anfängliche Mängelbeseitigung von sämtlichen Wohnungseigentümern zu leisten ist, und dass eine entgegenstehende Vereinbarung nur Fälle nach erstmaliger mangelfreier Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums meint. Eine Mindermeinung vertritt demgegenüber die Ansicht, dass ein Wohnungseigentümer bereits für eine Beseitigung der anfänglichen Baumängel zuständig sein kann. So sieht es auch das AG.
Überzeugender ist die h. M. Zum einen kann nur erhalten werden, was schon einmal fertig war. Ferner kann nur bei dieser Sichtweise der Wohnungseigentümer durch sein Verhalten (seine Sorgfalt) versuchen, Schäden am gemeinschaftlichen Eigentum entgegenzuwirken, um so die Erhaltungslast und die daraus resultierenden Kosten möglichst gering zu halten. Jedenfalls geht es um die erstmalige plangerechte Herstellung des Eigentums. Diese ist – wie die erstmalige Verwirklichung der sachenrechtlichen Abgrenzung nach Maßgabe des Aufteilungsplans – aber von allen Wohnungseigentümern gleichermaßen zu gewährleisten. Denn jeder Wohnungseigentümer hat einen Anspruch auf erstmalige Herstellung des ordnungsmäßigen Zustands auf Kosten sämtlicher Wohnungseigentümer.
Die Bestimmung des § 16 Abs. 3 WEG in der Fassung bis zum 1.12.2020 war nach h. M. nicht anwendbar, wenn ein Wohnungseigentümer nach einer Umlagevereinbarung keine Kosten zu tragen hatte. Ob das für § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG auch so ist, ist streitig. Ich selbst sehe es wie das AG (Hügel/Elzer, WEG. 3. Aufl., § 16 Rn. 47). Es gibt aber auch andere Stimmen (vgl. z. B. Lehmann-Richter/Wobst, WEG Reform 2020, Rn. 693; Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht, 2021, Kap. 7, Rn. 66; differenzierend BeckOGK-WEG/Falkner, § 16 Rn. 181 bis Rn. 184.1; Jennißen/Jennißen, WEG, 7. Aufl., § 16 Rn. 83 bis 93).
Grundsatz der Maßstabskontinuität
Meinte man, der Anwendungsbereich von § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG sei eröffnet, müss...