Kommentar
Sachverhalt:
Bei den Verfahren ging es um die Frage, ob der Vorsteuerabzug auf eine Eingangslieferung mit der Begründung versagt werden kann, dass der Erwerber sich in einem betrügerischen Umsatzsteuerkarussell befunden hat. Nach den Feststellungen des Vorlagegerichts hatten die Lieferungen in den Streitfällen, für die der Vorsteuerabzug begehrt wurde, tatsächlich durch einen anderen Unternehmer stattgefunden. Über die Umsätze war offenbar auch korrekt abgerechnet worden. Die Kläger befanden sich nach den Feststellungen des Vorlagegerichts in einem betrügerischen Umsatzsteuerkarussell, hatten jedoch davon keine Kenntnis. Die britische Mehrwertsteuerbehörde hatte den Klägern den Vorsteuerabzug (Erstattung) mit der Begründung verweigert, die Kläger hätten keine Lieferungen erhalten, die für Zwecke einer Geschäftstätigkeit verwendet worden seien oder hätten verwendet werden sollen. Die ihnen in Rechnung gestellte Umsatzsteuer könne keine Vorsteuer darstellen. Die Verkäufe seien objektiv beurteilt ohne wirtschaftliche Substanz und gehörten nicht zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit.
Das Vorlagegericht hatte den EuGH gefragt, ob der Vorsteuerabzug nur bezogen auf den einzelnen Umsatz, aus dem Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, beurteilt werden kann, und zwar unter Berücksichtigung der Absichten des Erwerbers bei diesem Erwerb oder ob der Vorsteuerabzug unter Betrachtung des gesamten Karussells, d.h. der gesamten Lieferkette, beurteilt werden kann. Weiterhin fragte das Gericht, ob für die Beurteilung des Vorsteuerabzugs auf die betrügerischen Handlungen und Absichten in einem Umsatzsteuerkarussell, unabhängig davon, ob sie sich vor oder nach dem einzelnen Erwerbsumsatz ergeben, von denen die Kläger nichts wissen, abgestellt werden kann oder ob andere Kriterien zur Beurteilung des Vorsteuerabzugs in solchen Fällen heranzuziehen sind. Schließlich fragte das Vorlagegericht, ob die Verweigerung des Vorsteuerabzugs gegen die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit verstößt, wenn der Vorsteuerabzug von einem in einem Umsatzsteuerkarussell eingebundenen Unternehmer geltend gemacht wird, der von den betrügerischen Machenschaften keine Kenntnis hat.
Entscheidung:
Der EuGH hat entschieden, dass bei Umsätzen wie in den Streitfällen, die nicht selbst mit Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, Lieferungen eines Unternehmers i.S.v. Artikel 2 Nr. 1 iVm Artikel 5 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie und auch eine wirtschaftliche (unternehmerische) Tätigkeit i.S.v. Artikel 4 der Richtlinie darstellen, wenn die Umsätze die objektiven Kriterien der wirtschaftlichen Tätigkeit bzw. des Lieferbegriffs erfüllen. Es kommt auf die Absicht eines anderen Unternehmers in der Lieferkette (den der betroffene Unternehmer weder kannte noch kennen konnte), Umsatzsteuerbetrügereinen zu begehen, nicht an. Das Vorsteuerabzugsrecht des betroffenen Unternehmers, der Umsätze in einer Lieferkette ausführt, wird auch nicht dadurch berührt, dass in der Lieferkette ein anderer Umsatz, der dem vom betroffenen Unternehmer getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet ist, ohne dass der betroffene Unternehmer hiervon Kenntnis hat oder haben kann.
Das Urteil das EuGH ist - auch wenn es die Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung nicht erleichtert - steuersystematisch nachvollziebar: Nach Artikel 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie setzt der Vorsteuerabzug u.a. voraus, dass es sich bei dem Eingangsumsatz um eine Lieferung oder Dienstleistung handelt, die von einem anderen Steuerpflichtigen (Unternehmer) erbracht wird. Damit ist der Vorsteuerabzug allein nach der jeweiligen Leistungsbeziehung des den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmers mit seinem Leistungspartner zu beurteilen. Nur wenn für diese Leistungsbeziehung nicht alle Voraussetzungen des Vorsteuerabzugsrechts vorliegen, kann dieser versagt werden. Auf die Umstände eines vor dem Erwerbsumsatz liegenden Umsatzes oder einer darauf folgenden Lieferung oder Dienstleistung kommt es nicht an.
Hinweis:
Andere Kriterien sind für die Vorsteuerabzugsberechtigung nicht relevant. Somit kommt es - wie in den Vorlagefällen - nicht darauf an, ob in einem betrügerischen Umsatzsteuerkarussell auf einer vorgelagerten oder nachgelagerten Stufe eine geschuldete Steuer nicht abgeführt wird oder ein Scheinumsatz stattfindet. Es muss für den jeweiligen Eingangsumsatz, für den der Vorsteuerabzug begehrt wird, geprüft werden, ob die Unternehmereigenschaft des Leistenden vorliegt, ob tatsächlich eine Leistung erbracht wurde und ob die Leistung auch tatsächlich von dem leistenden Unternehmer abgerechnet wurde. Hierbei können natürlich die Gesamtumstände eines betrügerischen Umsatzsteuerkarussells eine Rolle spielen. Wenn der betreffende Eingangsumsatz jedoch unstreitig - so war es offenbar in den Vorlagefällen - von einem anderen Unternehmer erbracht wurde und auch ordnungsgemäß abgerechnet wurde, steht dem Vorsteuerabzug dem Grunde nach nichts im Wege.
In di...