Dr. Tibor Szocs, Dr. Zsuzsanna Kosa
Rz. 211
Die Vaterschaft beruht auf einem System von Vermutungen. Die Vermutungen stehen miteinander in einem Rangverhältnis. Die Entstehungsgrundlage der Vermutungen ist unterschiedlich, ihre Rechtswirkung jedoch gleich. Rechtliche Tatsachen, die eine Vaterschaft begründen, sind wie folgt:
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Eheband, |
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bei Lebensgefährten ein besonderes Fortpflanzungsverfahren (Reproduktionsverfahren), |
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Vaterschaftsanerkennung oder |
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gerichtliche Feststellung der Vaterschaft. |
Alle Vaterschaftsvermutungen entstehen zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes und nicht der Empfängniszeit, denn sogar bei der ehelichen Vaterschaftsvermutung kann es vorkommen, dass das Kind noch vor der Eheschließung gezeugt wurde. Trotz der gleichen Rechtswirkungen der verschiedenen Vaterschaftsvermutungen gibt es Unterscheide, denn bei den ersten drei Vermutungen ist eine sexuelle Beziehung zwischen der Mutter und dem Mann keine Tatsachenvoraussetzung, während bei der gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft dieser Umstand den Gegenstand des Beweisverfahrens bildet.
a) Eheband
Rz. 212
Den Grundtatbestand der Vaterschaft stellt die Ehe der Mutter des Kindes dar. Besteht die Ehe im Zeitraum vom Beginn der Empfängniszeit bis zur Geburt des Kindes oder auch nur während eines Teils dieses Zeitraumes, so gilt der Ehemann der Mutter als Vater des Kindes. Die Vermutung ist an den Bestand des Ehebandes und nicht an die tatsächliche Lebensgemeinschaft geknüpft. Sie entsteht bei der Geburt des Kindes ipso iure, es bedarf keines Gerichts- oder Verwaltungsaktes. Das Gesetz bestimmt keinen minimalen Zeitabschnitt innerhalb des oben erwähnten Zeitraumes, während dessen die Eltern in Ehe gelebt haben müssen; eine noch so kurze Ehezeit zwischen Empfängnis und Geburt des Kindes begründet schon die primäre Vaterschaftsvermutung.
b) Künstliches Fortpflanzungsverfahren
Rz. 213
Die Vaterschaftsvermutung kann auf einem Fortpflanzungsverfahren beruhen. Voraussetzung der Teilnahme am Verfahren ist, dass keiner der teilnehmenden Lebensgefährten in einem Eheverhältnis steht, und beide müssen öffentlich beurkundet erklären, dass sie in einer Lebenspartnerschaft leben. Vor dem Eingriff haben sie persönlich eine gemeinsame schriftliche Einwilligungserklärung abzugeben. Zwischen der auf einer Ehe bzw. auf einem Fortpflanzungsverfahren beruhenden Vaterschaftsvermutungen besteht kein Konkurrenzverhältnis: Ist das Fortpflanzungsverfahren erfolgreich, so entsteht die Vaterschaftsvermutung aufgrund dieser Tatsache, selbst wenn die Lebensgefährten nach dem erfolgreichen Fortpflanzungsverfahren miteinander die Ehe schließen (also nicht aufgrund der Ehe). Es entsteht keine Vaterschaftsvermutung gegenüber dem Spender, dessen Vaterschaft gerichtlich nicht festgestellt werden kann.
c) Vaterschaftsanerkennung
Rz. 214
In Ermangelung der vorgenannten beiden Vaterschaftsvermutungen ist der Mann als Vater des Kindes anzusehen, der das Kind in einer vollwirksamen Anerkennungserklärung als sein eigenes anerkennt. Voraussetzung dafür ist, dass zwischen Vater und Kind ein Altersunterschied von mindestens sechzehn Jahren besteht und bestimmte Personen (insbesondere die Mutter) der Erklärung zustimmen. Die Vaterschaftsanerkennung lässt die Vaterschaft rückwirkend zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes entstehen. Zur Vollwirksamkeit einer vor der Geburt des Kindes abgegebenen Erklärung bedarf es der Geburt (Lebendgeburt) des Kindes. Da in der Rangfolge der Vaterschaftsvermutungen die Anerkennung vor der gerichtlichen Feststellung steht, stellt ein anhängiger Vaterschaftsprozess gegen einen anderen Mann kein Hindernis für die Vaterschaftsanerkennung dar. Die Erklärung wird jedoch in diesem Fall erst dann vollwirksam, wenn der Prozess ohne Feststellung der Vaterschaft rechtskräftig abgeschlossen wird (also nicht festgestellt wird, dass der Beklagte der biologische Vater des Kindes ist).
d) Gerichtsurteil
Rz. 215
Die letzte Möglichkeit ist die Feststellung der Vaterschaft durch ein Gericht; alle anderen Vaterschaftsvermutungen stehen in der Rangfolge vor ihr. Ziel des gerichtlichen Verfahrens ist es festzustellen, wer der tatsächliche Vater des Kindes ist. Im Prozess kann die Person des Vaters mit Hilfe einer DNA-Analyse eigentlich mit voller Sicherheit festgestellt werden. Daraus folgt, dass die von einem Gericht festgestellte Vaterschaftsvermutung unanfechtbar ist.