Dr. Tibor Szocs, Dr. Zsuzsanna Kosa
Rz. 146
Die Aufhebung der Lebensgemeinschaft an sich hebt den Anspruch der Ehegatten auf Nutzung der gemeinsamen Ehewohnung nicht auf, deshalb taucht diese Frage im Scheidungsverfahren oft als eine zu regelnde Folgesache auf. Das Gericht entscheidet über die Nutzungsverhältnisse an der ehelichen Wohnung nur auf Antrag eines der Ehegatten; sie können mit einer gleichlautenden Erklärung auf die Entscheidung über die Wohnungsnutzung verzichten.
Rz. 147
Als letzte gemeinsame Ehewohnung gilt die von den Ehegatten aufgrund eines selbstständigen Rechtstitels (Eigentumsrecht, Nießbrauch eines oder beider Ehegatten, bzw. Mietrecht an einer kommunalen Mietwohnung) tatsächlich bewohnte Immobilie. Trotz des tatsächlichen Zusammenlebens gilt nicht als gemeinsame Ehewohnung eine Immobilie, die ohne Rechtstitel oder nur aufgrund eines sog. akzessorischen Rechtstitels (z.B. Gefälligkeitsnutzung der Wohnung eines Familienmitgliedes bzw. von einer Gesellschaft auf dem freien Markt gemietete Immobilie) bewohnt wird. Der Begriff der gemeinsamen Ehewohnung erfasst auch nicht die nicht am Ort der alltäglichen Lebensführung belegene Immobilie (z.B. Ferienhaus, Wochenendhaus) sowie die Immobilie mit einer anderen Bestimmung (z.B. Garage, Geschäftsraum).
Rz. 148
Bei Regelung der Wohnungsnutzung kommt der Schutz des Familienheims und des Wohls minderjähriger Kinder verstärkt zur Geltung, deshalb ist das Verfügungsrecht der Ehegatten während der Lebensgemeinschaft sowie in der Zeit von Beendigung der Lebensgemeinschaft bis zur Regelung der Wohnungsnutzung (durch Vertrag oder Gerichtsurteil) eingeschränkt. Liegt ein gemeinsamer Rechtstitel vor, so können die Ehegatten sinngemäß nur gemeinsam entscheiden, aber ein Ehegatte mit einem ausschließlichen Rechtstitel kann auch nicht allein, ohne ausdrückliche (schriftliche) Zustimmung des anderen Ehegatten, verfügen. Dem Schutz der Wohnmöglichkeit minderjähriger Kinder dient die Möglichkeit des Gerichts, die Nutzungsverhältnisse an der Ehewohnung bei schwerer Beeinträchtigung des Kindeswohls abweichend vom Vertrag der Ehegatten zu regeln.
Rz. 149
Die Wohnungsnutzung wird vor allem in einem Vertrag geregelt. Wird der Vertrag vor oder während der ehelichen Lebensgemeinschaft geschlossen, gilt für ihn der Formzwang: der Vertrag ist entweder in einer öffentlichen Urkunde oder in einer von einem Rechtsanwalt gegengezeichneten Privaturkunde abzufassen. Die Ehegatten können aber auch im Ehevertrag für den Fall der Aufhebung der Lebensgemeinschaft Verfügungen bezüglich der von ihnen zur Zeit des Vertragsschlusses gemeinsam bewohnten Ehewohnung treffen. Nach Beendigung der Lebensgemeinschaft besteht kein Formzwang mehr, die Vereinbarung kann sogar mündlich oder aber auch durch konkludentes Verhalten zustande kommen.
Rz. 150
In Ermangelung eines Vertrags entscheidet das Gericht gleichzeitig mit der Scheidung – auf Antrag – über die Wohnungsnutzung. Verfügen die Parteien über Rechtstitel zur Nutzung mehrerer Immobilien (z.B. sie haben mehrere bewohnbare Immobilien im Eigentum) oder wenn einer der Ehegatten freiwillig und ohne Absicht der Rückkehr aus der letzten gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen ist, kann das Gericht von der Regelung absehen.
Rz. 151
Die Entscheidung des Gerichts hängt vom Rechtstitel der Wohnungsnutzung ab. Eine besondere Regel besagt, dass die Wohnmöglichkeit der gemeinsamen Kinder der Ehegatten oder eines minderjährigen Kindes vom Ehegatten, der einen ausschließlichen Rechtstitel hat, in erster Linie in der bisherigen gemeinsamen Ehewohnung zu gewähren ist.
Die Wohnungsnutzung wird einerseits so geregelt, dass die Ehegatten die Immobilie voneinander getrennt bewohnen, andererseits kann das ausschließliche Nutzungsrecht einem von ihnen zugesprochen werden.
Rz. 152
Die Nutzung einer aufgrund eines gemeinsamen Rechtstitels bewohnten Immobilie wird vom Gericht in der Regel geteilt. Die geteilte Nutzung bedeutet, dass die Ehegatten gewisse Wohnzimmer oder sonstige Räumlichkeiten der Wohnung ausschließlich bewohnen, andere wiederum gemeinsam nutzen dürfen. Ist Teilung aus objektiven (Größe der Immobilie, Aufteilung der Räumlichkeiten) oder aus subjektiven (schwer vorwerfbares Verhalten des Ehegatten) Gründen unmöglich, berechtigt das Gericht einen der Ehegatten zur ausschließlichen Nutzung der Wohnung und den anderen verpflichtet es, die Wohnung zu verlassen. Eine solche Regelung ist auch dann zulässig, wenn die Partei, die zur ausschließlichen Nutzung der Wohnung berechtigt wird, der anderen eine angemessene Tauschwohnung anbietet, und diese Lösung dem Wohl des minderjährigen Kindes nicht widerspricht.
Rz. 153
Wenn die letzte gemeinsame Ehewohnung mit dem ausschließlichen Rechtstitel eines der Ehegatten bewohnt wurde, wird das Gericht diesen Ehegatten zur weiteren Wohnungsnutzung berechtigen. Nach der Härteklausel des Abs. (2) § 4:83 kann das Gericht die geteilte Nutzung auch im Falle einer solchen Wohnung anordnen, wenn dies vom Interesse der minderjährigen Kinder gerech...