Dr. Tibor Szocs, Dr. Zsuzsanna Kosa
Rz. 156
Die gegenseitige Beistandspflicht kann auch nach Aufhebung der Lebensgemeinschaft und nach der Ehescheidung bestehen bleiben. Eine Solidarität zwischen den früheren Ehegatten kann nach einer längeren Zeit von ihnen immer weniger erwartet werden, deshalb kann der nach fünf Jahren nach der Scheidung unterhaltsbedürftig gewordene frühere Ehegatte nur im besonderen Härtefall Unterhalt verlangen. Der Anspruch auf Ehegattenunterhalt erlischt, wenn der Berechtigte eine neue Ehe schließt oder eine außereheliche Lebensgemeinschaft begründet.
Rz. 157
Im Sinne des Grundsatzes der Vertragsfreiheit können die Ehegatten auch den Ehegattenunterhalt in einem Vertrag regeln. Für einen Vertrag sind die gesetzlichen Vorgaben nicht maßgebend, ein Ehegatte kann sich zur Unterhaltszahlung auch dann verpflichten, wenn der andere Ehegatte – der Berechtigte – nicht bedürftig ist, oder wenn er sich durch sein Verhalten des Unterhalts möglicherweise unwürdig gemacht hat.
Rz. 158
In Ermangelung eines Vertrags ist – im Sinne des Gesetzes – die allgemeine Voraussetzung einer Unterhaltsberechtigung, dass der Ehegatte ohne Selbstverschulden unterhaltsbedürftig wurde und sich nicht unwürdig gemacht hat. Auf Seiten des Unterhaltsschuldners ist eine Voraussetzung der Unterhaltsverpflichtung, dass er mit Rücksicht auf den Eigenbedarf und auf seine anderweitigen Unterhaltszahlungspflichten zur Unterhaltsleistung nicht imstande ist (Leistungsfähigkeit).
1. Unterhaltsberechtigung
Rz. 159
Der Inhalt der Bedürftigkeit ohne Selbstverschulden ist im Gesetz nicht definiert. Die Bedürftigkeit ist eine objektive Kategorie: Der geschiedene Ehegatte kann sich von seinen Einkünften und seinem Vermögen selbst nicht unterhalten. Die Erwerbsunfähigkeit kann mehrere Ursachen haben, z.B. Krankheit des geschiedenen Ehegatten, wie auch schwere Krankheit eines gemeinsamen minderjährigen (oder volljährigen) Kindes, das auf ständige Pflege und Aufsicht angewiesen ist. Das Alter an sich begründet noch nicht automatisch die Unterhaltsbedürftigkeit; die Beurteilung der Bedürftigkeit eines alten, das Rentenalter erreichten Ehegatten obliegt dem Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung. Die Bedürftigkeit kann nämlich schon im jüngeren Alter auftreten, wenn der Ehegatte z.B. keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, weil mit einem kleinen Kind zu Hause ist und staatliche Zuwendungen wegen Kindererziehung genießt. Eine derartige Bedürftigkeit ist meistens zeitlich begrenzt. Das Selbstverschulden hat subjektiven Charakter: In welchem Maße dem betroffenen Ehegatten eine Erwerbstätigkeit bzw. Verwertung seines Vermögens zumutbar ist. Im Allgemeinen kann die Verwertung von solchen Vermögensgegenständen nicht erwartet werden, die der Aufrechterhaltung einer gewöhnlichen, nicht verschwenderischen Lebensführung dienen. Demgegenüber kann von einem Unterhaltsberechtigten mit geringem Einkommen, der jedoch wertvolle Vermögensgegenstände besitzt, erwartet werden, dass er alles tut, um selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in begründeten Fällen sogar durch Veräußerung gewisser Vermögensgegenstände (z.B. Immobilien).
Rz. 160
Bei Feststellung der Unterhaltsunwürdigkeit sind Verhalten bei Auflösung der Ehe bzw. nach Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu berücksichtigen. Im ersten Fall misst die Rechtsprechung einem schwer vorwerfbaren Verhalten, das zur Zerrüttung der Ehe geführt hat, große Bedeutung bei. Im zweiten Fall kann zur Feststellung der Unwürdigkeit führen, wenn der geschiedene Ehegatte (oder ein mit ihm zusammen lebender Verwandte) sich grob unbillig verhalten bzw. die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens verletzt hat, sofern die Leistung eines Ehegattenunterhalts für den Verpflichteten nach der allgemeinen gesellschaftlichen Bewertung eine grobe Unbilligkeit darstellen würde.
2. Leistungsfähigkeit des Verpflichteten
Rz. 161
Selbst bei unverschuldeter Bedürftigkeit oder fehlender Unwürdigkeit hat der andere Ehegatte nur dann einen Anspruch auf Unterhalt, wenn der Verpflichtete zur Unterhaltsleistung fähig ist.
Rz. 162
In der Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter steht ein minderjähriges Kind an erster Stelle, nach ihm folgt die eigene Person des Unterhaltsverpflichteten, dann ein volljähriges Kind, das wegen seiner Ausbildung oder Studiums unterhaltsbedürftig ist; erst danach kann dem geschiedenen Ehegatten Unterhalt gewährt werden. Gegen den Unterhaltsverpflichteten haben sein früherer und sein aktueller Ehegatte, sowie sein früherer Lebensgefährte einen gleichrangigen Unterhaltsanspruch. Neben der Unterhaltsrangfolge sind auch Einkünfte und gegebenenfalls Vermögen des Unterhaltsverpflichteten zu berücksichtigen, denn in zahlreichen Fällen stimmt das erfasste (beim Finanzamt angemeldete) Einkommen nicht mit dem tatsächlichen Einkommen überein. Für das Maß des Ehegattenunterhalts gelten die Regeln des Verwandtenunterhalts. Zweck des Ehegattenunterhalts ist nicht der Einkommensausgleich oder Aufrechterhaltung des früheren Lebensstandards des geschiedenen Ehegatten, ...