Leitsatz
Ein volljähriger Sohn und sein Vater streiten um die Rechtsfrage, ob der Sohn auch dann als privilegierter Volljähriger i.S.d. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB anzusehen ist, wenn er im Haushalt der Großmutter lebt.
Sachverhalt
Der Kläger ist der Vater des am 27.05.1986 geborene Beklagten, der bis zum 31.10.2004 in dem Haushalt seiner Mutter gelebt hatte. Seit dem 1.11.2004 wohnt er in dem Haushalt seiner Großmutter und wird von dieser in gleicher Art und Weise wie im Haushalt seiner Mutter versorgt. Der Beklagte ist Schüler in der Klasse 12 einer Gesamtschule.
In einer am 28.05.2001 vor dem Jugendamt Hamm abgegebenen Erklärung hatte sich der Kläger verpflichtet, an den Beklagten Unterhalt i.H.v. 100 % des jeweiligen Regelbetrages nach der jeweiligen Altersstufe zu zahlen. Der Kläger ist wieder verheiratet und hat einen weiteren im Jahre 1992 geborenen Sohn aus seiner jetzigen Ehe.
Er begehrt die Abänderung der Urkunde vom 28.05.2001 dahin, dass er ab Klagezustellung (24.06.2004) keinen Unterhalt mehr an den Beklagten zu zahlen hat. Das AG hat für diesen Antrag Prozesskostenhilfe bewilligt. Dem Beklagten ist insoweit Prozesskostenhilfe bewilligt worden, als er sich gegen eine Abänderung des Unterhaltstitels für die Monate Juni bis Oktober 2004 wendet. In der Begründung des den Beklagten betreffenden Prozesskostenhilfe-Beschlusses hat das AG nach entsprechender Berechnung ausgeführt, bis Oktober 2004 gelte er als privilegierter Volljähriger i.S.d. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB, für den eine gesteigerte Unterhaltspflicht bestehe. Seit November 2004 - dem Umzug des Beklagten in den Haushalt seiner Großmutter - entfalle die Privilegierung.
Der Beklagte wendet sich mit der Beschwerde gegen diesen Beschluss und führt zur Begründung aus, er werde im Haushalt seiner Großmutter in gleicher Art und Weise versorgt wie in dem Haushalt der Mutter. Er sei daher nach wie vor als privilegierter Volljähriger i.S.d. § 1603 Abs. 2 S. 2 analog BGB anzusehen.
Das OLG hält die Beschwerde für nicht begründet.
Entscheidung
Das OLG verneint das Vorliegen der Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB auf den vorliegenden Fall. Eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung ist nicht feststellbar. Eine analoge Anwendung ist vom OLG Dresden (OLG Dresden v. 12.9.2001 - 20 WF 592/01, FamRZ 2002, 695) im Wege der Einzelanalogie für den Fall befürwortet worden, dass ein Kind seit der frühesten Kind im Haushalt der Großeltern gelebt hat. Seine Situation habe sich durch Erreichen der Volljährigkeit ebenso wenig geändert, als wenn es im Haushalt eines Elternteils gelebt hätte. Nach Auffassung des OLG stellt die Privilegierung volljähriger Kinder in §§ 1603 Abs. 2 S. 2, 1609 BGB eine abschließende gesetzliche Regelung dar, die einer Erweiterung nicht zugänglich ist. Mit der Privilegierung werden bestimmte volljährige Kinder in bestimmten Lebenssituationen den minderjährigen Kindern - ausnahmsweise - gleichgestellt. Die Erweiterung einer solchen Ausnahmeregelung ist grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers. Der Entstehungsgeschichte der Gesetzesänderung ist zu entnehmen, dass eine Erweiterung auf andere Fälle erwogen, letztendlich jedoch abgelehnt worden ist.
Hinweis
Die Entscheidung des OLG Dresden vom 12.9.2001 hat in der Literatur zum Teil Zuspruch gefunden.
Der dort zu entscheidende Fall unterschied sich dadurch, dass das Kind schon seit seiner frühesten Jugend von den Großeltern versorgt wurde, während in dem von dem OLG Hamm zu entscheidenden Fall ein Wechsel in den Haushalt der Großeltern erst nach der Volljährigkeit des Beklagten erfolgte. In Fällen wie dem der Entscheidung des OLG Dresden zugrunde liegenden dürfte eine Analogie angebracht sein. Im Übrigen verbietet sich eine analoge Anwendung des § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB. Insoweit ist der Auffassung des OLG Hamm zuzustimmen.
Link zur Entscheidung
OLG Hamm, Beschluss vom 16.02.2005, 11 WF 43/05