Leitsatz
Geschäftliche Entscheidungen von Gesellschaftsorganen sind unter strafrechtlichen Aspekten nur eingeschränkt überprüfbar.
Sachverhalt
Der Angeklagte war Vorstand einer AG. Das Landgericht hatte ihn wegen Untreue teils verurteilt, teils freigesprochen. Die von ihm und von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revisionen waren erfolglos.
Entscheidung
Als Vorstand der AG unterlag der Angeklagte gesellschaftsrechtlich den Pflichten der §§ 76, 82 und 93 AktG. Er hatte dabei die AG nicht nur in eigener Verantwortung zu leiten, sondern bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Der Vorstand unterliegt nach § 82 Abs. 2 AktG gegenüber der AG den von der Satzung, dem Aufsichtsrat, der Hauptversammlung und der Geschäftsordnung gezogenen Beschränkungen.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist dem Vorstand bei seinen in Ausfüllung der genannten Pflichten getroffenen Entscheidungen ein weiter Ermessensspielraum zuzubilligen. Werden diese äußersten Grenzen unternehmerischer Entscheidungsfreiheit überschritten und wird damit eine Hauptpflicht gegenüber dem zu betreuenden Unternehmen verletzt, liegt eine Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten vor, die so gravierend ist, dass sie zugleich eine Pflichtwidrigkeit im Sinne von § 266 StGB begründet. Diese Grenzen sah der BGH als überschritten an. Der Angeklagte hatte über eine Million DM an ein weiteres Unternehmen überwiesen, obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon wusste, dass die von ihm geleitete AG nicht mehr saniert werden konnte und vor der Insolvenz stand.
Anders wertete der Senat eine – durchaus sehr risikoreiche und letztlich gescheiterte – grundlegende Investitionsentscheidung des Angeklagten. Den entscheidungstragenden Organen einer Gesellschaft steht ein weiter, gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Handlungsspielraum gerade dann zu, wenn ein über die bisherige Unternehmenstätigkeit hinausreichendes Geschäftsfeld erschlossen, eine am Markt bislang nicht vorhandene Geschäftsidee verwirklicht oder in eine neue Technologie investiert werden soll. Hier tritt der Prognosecharakter unternehmerischer Entscheidungen besonders deutlich zutage. Dem Entscheidungsträger obliegt es in diesen Fällen allerdings, sich in angemessener Weise, gegebenenfalls unter Beiziehung sachverständiger Hilfe, durch Analyse der Chancen und Risiken eine möglichst breite Entscheidungsgrundlage zu verschaffen. Diese Grundsätze hatte der Angeklagte beachtet. Er hatte die von ihm erkannten Unsicherheiten zum Anlass genommen, zunächst intern, dann von einem externen Beratungsunternehmen eine Risikoanalyse vornehmen zu lassen. Außerdem hatte er sich mit dem Aufsichtsrat abgestimmt. Eine weiterreichende bis ins Einzelne gehende und nur mit hohem Aufwand zu erstellende Abschätzung des Geschäftsverlaufs des zu übernehmenden Unternehmens war von ihm darüber hinausgehend nicht zu verlangen.
Praxishinweis
Der BGH betont erneut, dass dem Gesellschaftsorgan – zumindest unter strafrechtlichen Aspekten – kein Vorwurf gemacht werden darf, wenn es unter Abwägung aller bekannten Informationen Risikogeschäfte eingeht. Denn zum Geschäftsleben gehört auch ein gewisses unternehmerisches Risiko mit der Folge, dass initiierte Projekte durchaus scheitern können. Notwendig ist nur, dass sich der Handelnde am Leitbild des "ordentlichen Kaufmanns" orientiert und gesetzlich oder satzungsmäßig festgelegte Rechte von Aufsichtsgremien beachtet.
Link zur Entscheidung
BGH-Urteil vom 22.11.2005, 1 StR 571/04