Leitsatz
- Einem qualifizierten Mietspiegel kann aufgrund einer klaren Konzeption der Gliederung und einer verständlichen und einleuchtenden Darstellung des Stoffs Schutz als Sprachwerk i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG zukommen.
- Mangels Regelungscharakter ist ein qualifizierter Mietspiegel kein amtlicher Erlass i.S. des § 5 Abs. 1 UrhG.
- Ein qualifizierter Mietspiegel ist auch kein sonstiges amtliches Werk i.S. des § 5 Abs. 2 UrhG, weil es an einer Veröffentlichung zur allgemeinen Kenntnisnahme und damit an einem spezifischen Verbreitungsinteresse fehlt.
(amtliche Leitsätze des Gerichts)
Normenkette
UrhG §§ 2, 5; BGB §§ 558c, 558d
Kommentar
Die Stadt Heilbronn hat im Jahr 2008 durch ihre Mitarbeiter einen Mietspiegel erstellt und diesen in einer 20-seitigen Broschüre veröffentlicht. Die Broschüre trägt den Titel "Mietspiegel für die Stadt Heilbronn" und den Untertitel "Qualifizierter Mietspiegel nach § 558d BGB". Die Broschüre besteht aus einer Mietspiegeltabelle nebst Anwendungshinweisen zu deren Gebrauch sowie allgemeinen Erläuterungen zum Mieterhöhungsverfahren. Auf der inneren Umschlagseite ist Folgendes vermerkt: "Herausgeber Stadt Heilbronn. Der Mietspiegel ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Es ist insbesondere nicht gestattet, diese Daten oder Teile daraus zu vervielfältigen oder in elektronischen Systemen zu speichern und anzubieten. Zuwiderhandlungen werden rechtlich verfolgt."
Die Stadt Heilbronn gibt die Broschüre zum Preis von 6,50 EUR ab. Ein in Heilbronn ansässiger Rechtsanwalt – der dort mehrere Wohnungen vermietet – hat ein Exemplar der Mietspiegelbroschüre erworben. Hierfür erhielt er einen Gebührenbescheid über 6,50 EUR. Gegen diesen Bescheid hat der Rechtsanwalt Widerspruch eingelegt und – nach Zurückweisung des Widerspruchs – Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Zugleich hat er die Feststellung beantragt, dass er "durch Anfertigung von Kopien des ... Mietspiegels ... keinen urheberrechtlichen Ansprüchen" der Stadt Heilbronn ausgesetzt ist. Das Verwaltungsgericht hat die Klage hinsichtlich des urheberrechtlichen Teils an das LG Stuttgart verwiesen. Dieses Gericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Oberlandesgericht Stuttgart eingelegt.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig abgewiesen.
- Nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist die Berufung zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 EUR übersteigt. Dieser Wert wird nach Ansicht des Berufungsgerichts nur erreicht, wenn der Kläger in einem Zeitraum von 4 Jahren für seine Zwecke mehr als 92 Mietspiegel benötigt (92 x 6,50 EUR = 598 EUR). Dies war vorliegend nicht der Fall.
- Außerdem ist die Berufung zulässig, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs die Berufung im Urteil zugelassen hat (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Eine solche Zulassungsentscheidung ist geboten, wenn der Beschwerdewert von mehr als 600 EUR nicht erreicht wird und die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert (§ 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO). Eine Zulassungsentscheidung hat das Landgericht nicht getroffen, weil es von einem Beschwerdewert von 5.100 EUR ausgegangen ist.
In einem solchen Fall muss das Berufungsgericht die Zulassungsentscheidung nachholen.
Das Gericht befasst sich zunächst mit der Frage, ob eine Berufungsentscheidung zur "Fortbildung des Rechts" erforderlich ist. Hier geht es um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen für einen Mietspiegel oder eine Mietspiegelbroschüre Urheberrechtsschutz besteht. Hierfür sind 2 Vorschriften maßgeblich:
Nach § 2 Abs. 1 UrhG gehören zu den geschützten Werken "der Literatur, Wissenschaft und Kunst" u.a. "Schriftwerke" (Nr. 1) und "Darstellungen wissenschaftlicher Art ... wie ... Tabellen" (Nr. 7), soweit sie "persönliche geistige Schöpfungen" (Abs. 2 ) sind. Nach Ansicht des Gerichts wird die nach § 2 Abs. 2 UrhG erforderliche "Schöpfungshöhe" zwar noch nicht erreicht, wenn die im Rahmen der Mietpreisermittlung erhobenen Daten "zu einer Mietrichtwerttabelle" zusammengeführt werden. Bei der "Mietspiegelbroschüre als Schriftwerk" könne jedoch die erforderliche Schöpfungshöhe nicht verneint werden (Leitsatz 1).
- Nach § 5 UrhG genießen jedoch Gesetze, Verordnungen, amtliche Erlasse und Bekanntmachungen (Abs. 1) sowie amtliche Werke, die im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden sind (Abs. 2), keinen Urheberrechtsschutz. Zu den Gesetzen, Verordnungen, amtlichen Erlassen und Bekanntmachungen zählen nach der Rechtsprechung des BGH jedoch nur solche Texte, die einen "regelnden Inhalt" haben (BGH, Urteil v. 20.7.2006, I ZR 185/03, NJW-RR 2007 S. 342 betr. Bodenrichtwertsammlung). Hierzu zählt der Mietspiegel nicht, weil dieser – nach Auffassung des Gerichts – keinen Regelungscharakter aufweist, sondern "nichts weiter als eine statistisch aufbereitete Sammlung von Vergleichsmieten" darstellt (Leitsatz 2).
- Die Veröffentl...