Detlef Burhoff, Annika Hirsch
Rdn 3369
Literaturhinweise:
Ebert, Zum Beanstandungsrecht nach Anordnungen des Strafrichters gem. § 238 Abs. 2 StPO, StV 1997, 269
Lenckner, Strafvereitelung und Vereidigungsverbot nach § 60 Nr. 2 StPO, NStZ 1982, 410
Rotsch/Sahan, § 3 StPO und die materiell-rechtlichen Regelungen von Täterschaft und Teilnahme oder: Gibt es einen strafprozessualen Beteiligtenbegriff?, ZIS 2007, 142
Sommer, Maßnahmen des Strafverteidigers in der Hauptverhandlung, ZAP F. 22, S. 101
Strate, Der Verzicht auf die Vereidigung – eine schädliche Unsitte, StV 1984, 42
Theuerkauf, Darf der in der Hauptverhandlung offensichtlich falsch aussagende Zeuge unvereidigt bleiben?, MDR 1964, 204
Ziegert, § 60 Nr. 2 StPO – Verlust der Rüge oder Lüge?, StV 1999, 171
s.a. die Hinw. bei → Vereidigung eines Zeugen, Teil V Rdn 3353.
Rdn 3370
1. § 60 enthält zwingende Vereidigungsverbote, die das Gericht beachten (und erörtern) muss, falls sich Anhaltspunkte für ihr Vorliegen ergeben (Meyer-Goßner/Schmitt, § 60 Rn 1; BGH StV 1988, 325). § 60 ist durch das 1. JuMoG nicht geändert worden. Die frühere Rspr. kann also weiterhin angewandt werden. Im Einzelnen regelt § 60 folgende Verbote:
Rdn 3371
2. Nach § 60 Nr. 1 Fall 1 dürfen Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 187 Abs. 2 BGB!), nicht vereidigt werden, da sie eidesunmündig sind. Wird der jugendliche Zeuge noch vor → Schluss der Beweisaufnahme, Teil S Rdn 3003, eidesmündig, muss seine Vereidigung nachgeholt werden (KK/Slawik, § 60 Rn 4 m.w.N.).
Beispiel:
Der am 27.9.2005 geborene Zeuge Z wird in einem umfangreichen Verfahren am 25.9.2023 als Zeuge vernommen. Die Beweisaufnahme erstreckt sich danach noch über mehrere Verhandlungstage und wird erst am 10.10.2023 geschlossen. Die Vereidigung des Zeugen ist nachzuholen.
Rdn 3372
3. Nach § 60 Nr. 1 Fall 2 bleiben die Zeugen wegen Eidesunfähigkeit unvereidigt, die wegen mangelnder Verstandesreife oder einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung vom Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben (dazu Meyer-Goßner/Schmitt, § 60 Rn 4 f.).
Rdn 3373
4. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist das Eidesverbot des § 60 Nr. 2 wegen Tat- oder Teilnahmeverdachts. Im Wesentlichen gilt:
Rdn 3374
a) Maßgebend für den Begriff der Tat ist der verfahrensrechtliche Tatbegriff i.S.d. § 264. Es kommt also auf den gesamten geschichtlichen Vorgang an, innerhalb dessen die Tat verwirklicht worden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 60 Rn 9 m.w.N.). Gegenstand der Untersuchung ist die angeklagte Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der HV zum Zeitpunkt der Vernehmung des Zeugen darstellt (BGHSt 10, 358).
Rdn 3375
Rechtsprechungsbeispiele:
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Bei einer angeklagten Beihilfe ist "Tat" i.S.d. § 60 Nr. 2 auch die Haupttat, zu der Beihilfe geleistet worden sein soll (BGHSt 21, 147 f.), |
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gleiches gilt für eine Vortat, wenn sie in untrennbarem Zusammenhang mit der angeklagten Tat steht, wie
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die der Begünstigung oder der Strafvereitelung zugrunde liegende Straftat (BGHSt 4, 368), |
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der Diebstahl im Verfahren gegen den Hehler (BGHSt 1, 360, 363 f.), |
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die frühere Straftat im Verfahren wegen einer falschen Aussage über sie (BGHSt 6, 382). |
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Rdn 3376
Tatverdacht i.S.d. § 60 Nr. 2 besteht, wenn nach dem Ergebnis der HV nicht der Angeklagte, sondern der Zeuge als Täter in Betracht kommt (BGH MDR 1961, 1031 [D]; BGHSt 10, 358, 365; zum Grad des Verdachts Teil V Rdn 3380).
Rdn 3377
b) Der Begriff des Teilnahmeverdachts oder der Beteiligung ist weit auszulegen. Er umfasst daher neben den Teilnahmeformen des StGB jede strafbare Mitwirkung, die in dieselbe Richtung wie das Verhalten des Angeklagten geht (st. Rspr.; Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, § 60 Rn 12; a.A. Rotsch/Sahan ZIS 2007, 142, 147). Tatbeteiligungsverdacht besteht auch noch, wenn gegen einen früheren Mitangeklagten das Verfahren inzwischen nach § 153a eingestellt wurde (BGH MDR 1994, 1072). Unerheblich ist, ob im Einzelfall eine Bestrafung des Zeugen erfolgen kann (zuletzt BGHSt 43, 321, 330 m. zahlr. weit. Nachw.; s.a. BGH NStZ 1999, 470). Auch die Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 gegen den der Tatbeteiligung verdächtigen Zeugen lässt das Vereidigungsverbot nicht entfallen (BGH NStZ 2000, 45).
Hinzuweisen ist auf folgende Rechtsprechungsbeispiele:
Rdn 3378
für Beteiligte i.S.d. § 60 Nr. 2
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(Mit-)Täter, Anstifter, Gehilfe, und zwar auch, wenn dieser im Wege der Rechtshilfe im Ausland vernommen worden ist (BGH NStZ 1996, 609 [für Schweiz]), ☆ Besteht bei mehreren Taten ein Beteiligungsverdacht nur hinsichtlich einer Tat, kommt wegen der anderen Taten eine Teilvereidigung in Betracht, wenn zwischen den Aussagekomplexen kein innerer Zusammenhang in der Art besteht, dass Gegenstand der Aussage ein nicht oder nur schwer trennbares Gesamtgeschehen wäre (BGH StV 1997, 114 m.w.N.).Teilvereidigung in Betracht, wenn zwischen den Aussagekomplexen kein innerer Zusammenhang in der Art besteht, dass Gegenstand der Aussage ein nicht oder nur schwer... |