Leitsatz
Wohnungsdurchsuchungen bei unzureichender Verdachtslage sind unzulässig.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer betrieb ein Einzelunternehmen in einer von seiner Ehefrau gemieteten Halle. Bei einer Betriebsprüfung gab er an, dass die Mittel für den Bau der Halle aus einem Darlehen seines Schwiegervaters stammten, der das Geld aus einem Grundstücksverkauf erlöst habe. Da die anschließende Überprüfung der Steuererklärungen des Schwiegervaters die Herkunft des Geldes nicht klären konnte, nahm die Finanzbehörde an, das Geld stamme aus nicht versteuerten Einnahmen des Beschwerdeführers. Nach Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens ordnete das AG unter anderem die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschwerdeführers an. Als die Ermittlungsbehörde bei einer Durchsuchung der Wohnräume des Schwiegervaters feststellte, dass dieser aus Grundstücksverkäufen tatsächlich fast 2 Mio. DM erlöst hatte, wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer mangels Straftat nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die gegen die Durchsuchung seiner Wohn- und Geschäftsräume gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolgreich.
Entscheidung
Die gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verdachtsgründe reichten allenfalls sehr geringfügig über bloße Vermutungen und vage Anhaltspunkte hinaus. Allein der Umstand, dass anhand der Steuererklärungen nicht festgestellt werden konnte, dass der Kapitalbetrag dem Schwiegervater als versteuertes Einkommen zugeflossen war, genügt nicht zur Begründung eines Tatverdachts gegen den Beschwerdeführer.
Es bleiben zu viele Varianten offen, die nicht auf von dem Beschwerdeführer begangene Straftaten hindeuten. Insbesondere hatte der Beschwerdeführer den Finanzbehörden eine plausible Möglichkeit benannt, die zu einem steuerfreien Zufluss in das Vermögen des Schwiegervaters führen konnte, nämlich die Veräußerung von Grundstücken. Es war Aufgabe der Ermittlungsbehörden, diese nachvollziehbare Angabe über die Herkunft des fraglichen Betrags zunächst ohne empfindliche Grundrechtseingriffe zu überprüfen. Zwangsmaßnahmen durften erst dann in Betracht gezogen werden, wenn sich die Angabe als falsch oder nicht überprüfbar erwiesen hätte.
Selbst wenn man im konkreten Fall von einem Verdacht der Steuerhinterziehung ausgehen würde, war die angeordnete Durchsuchung jedenfalls unverhältnismäßig. Zur Aufklärung der Herkunft des Geldes hätten andere Mittel zur Verfügung gestanden, die gar nicht oder weniger empfindlich in Grundrechte des Beschwerdeführers eingegriffen hätten. Vor allem hätten die Ermittlungsbehörden vor der Durchsuchungsmaßnahme die Angaben des Beschwerdeführers zur Herkunft des Geldes detailliert überprüfen müssen. In Frage gekommen wären hier etwa Auskunftsersuchen beim Grundbuchamt oder der Bank bzw. Zeugenvernehmungen, um die Hinweise auf ein strafbares Verhalten zu substantiieren. Der hohe Wert der Integrität der Wohnung, der in Art. 13 GG zum Ausdruck kommt, verlangt immer derartige Maßnahmen, bevor ein empfindlicher Eingriff wie die Durchsuchung einer Privatwohnung in dieses Grundrecht zulässig ist.
Praxishinweis
Das BVerfG betont erneut, dass Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen in privaten Wohnungen allein das letzte Mittel sein dürfen, um vorhandene Verdachtsmomente zu überprüfen. Die Praxis der Steuerfahndung berücksichtigt diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben nicht immer ausreichend. Die Fahnder scheuen oft vor allem den höheren Zeitaufwand, den Zeugenvernehmungen und Bankermittlungen gegenüber dem schnellen und umfassenden Durchsuchungszugriff mit sich bringen. Inwieweit die Entscheidung des BVerfG nennenswerte Korrekturen der Fahndungspraxis auslösen wird, bleibt abzuwarten. Für betriebliche Räume gelten diese hohen Anforderungen im Übrigen nicht, weil sie nicht durch das Grundrecht aus Art. 13 GG geschützt werden. Der – stets bei allen staatlichen Eingriffen zu beachtende – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann hier aber je nach den Umständen des Einzelfalls ebenfalls "mildere" Ermittlungsmaßnahmen, etwa die Auswertung von Bankunterlagen und dergleichen, gebieten.
Link zur Entscheidung
BVerfG-Beschluss vom 3.7.2006, 2 BvR 2030/04