Leitsatz
Zur Nichtigkeit eines ein Vorkaufsrecht vereitelnden Vertrags und zu Grund und Höhe einer daraus resultierenden Schadensersatzverpflichtung (amtlicher Leitsatz des BGH).
Normenkette
BGB § 577
Kommentar
Der Eigentümer eines Mehrfamilienhauses hatte im Jahr 1992 das Gebäude in Wohnungseigentum aufgeteilt. Im Jahr 1998 wurden 13 Wohnungen zu einem Gesamtpreis von 2.650.000 DM verkauft. Hinsichtlich der Bemessung des Kaufpreises haben die Parteien des Kaufvertrags zwei Gruppen von Wohnungen gebildet.
Gruppe 1, bestehend aus fünf Wohnungen, die nach der Aufteilung in Wohnungseigentum vermietet worden sind: Gesamtfläche 454,37 qm, Gesamtpreis 240.000 DM.
Gruppe 2, bestehend aus acht Wohnungen, die zum Zeitpunkt der Aufteilung bereits vermietet waren: Gesamtfläche 602,91 qm, Gesamtpreis 2.410.000 DM.
Die Kläger sind die Mieter einer Wohnung der Gruppe 2. Der auf diese Wohnung entfallende Preis betrug entsprechend der Preisgestaltung 380.000 DM. Die Kläger haben ihr Vorkaufsrecht nach § 577 BGB ausgeübt. Hierbei haben sie erklärt, dass der Kaufpreis anteilig aus dem Gesamtpreis von 2.650.000 DM (= 210.410 DM) zu bestimmen sei. Der Eigentümer hat die Wohnung gleichwohl dem Erwerber übereignet. Die Mieter haben den Eigentümer auf Schadensersatz wegen der Vereitelung ihres Vorkaufsrechts in Anspruch genommen. Das Landgericht hat den Wert der Wohnung durch einen Sachverständigen ermitteln lassen. Danach beträgt der Verkehrswert 265.000 DM.
Der BGH hat den Mietern Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen dem anteiligen Kaufpreis (210.410 DM) und dem Verkehrswert (265.000 DM), also 54.590 DM zugesprochen. Die Entscheidung beruht auf folgenden Grundsätzen:
1. Nach § 577 Abs. 1 BGB ist der Mieter zum Vorkauf berechtigt, wenn an vermieteten Wohnräumen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet wird. Mit der Ausübung des Vorkaufsrechts kommt ein Kaufvertrag zwischen dem Eigentümer (Vermieter) und dem Mieter zustande. Der Inhalt des Kaufvertrags richtet sich nach den Vereinbarungen, die der Eigentümer mit dem Erwerber getroffen hat. Hiervon gilt eine wichtige Ausnahme: Werden mehrere Wohnungen ("im Paket") verkauft und wird für eine bestimmte Wohnung ein überhöhter Einzelpreis vereinbart, um so zu verhindern, dass der Mieter das Vorkaufsrecht ausübt, so ist diese Preisgestaltung sittenwidrig und deshalb gegenüber dem Mieter unwirksam. An die Stelle des vereinbarten Preises tritt der anteilige Preis. Der anteilige Preis wird entsprechend dem Verhältnis der Gesamtfläche aller verkauften Wohnungen zur Fläche der Wohnung des Mieters bestimmt.
2. Die Sittenwidrigkeit der Preisvereinbarung führt nach § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrags, wenn nicht anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre. Hierfür ist nach allgemeinen Grundsätzen derjenige beweispflichtig, der das teilnichtige Geschäft aufrechterhalten will. Etwas anderes gilt, wenn der Kaufvertrag eine salvatorische Erhaltens- und Ersetzungsklausel enthält:
Sollte eine Bestimmung dieses Vertrags … ganz oder teilweise unwirksam sein, so wird dadurch die Gültigkeit der übrigen Vereinbarungen nicht berührt. Die etwaige nichtige oder unwirksame Bestimmung ist durch eine ähnliche, dem Sinn und Zweck dieses Vertrags entsprechende gültige Bestimmung zu ersetzen.
Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil v. 24.9.2002, KZR 10/01, NJW 2003, 347) führt die Klausel zu einer Umkehr der Beweislast. Beweispflichtig für die Gesamtnichtigkeit ist derjenige, der das Geschäft verwerfen will. In dem zur Entscheidung stehenden Fall war in dem Kaufvertrag eine salvatorische Erhaltens- und Ersetzungsklausel vereinbart. Der Eigentümer hätte deshalb die zur Gesamtnichtigkeit führenden Umstände beweisen müssen. Dies war dem Eigentümer nicht möglich.
3. Hat der Eigentümer die Wohnung trotz der wirksamen Ausübung des Vorkaufsrechts dem Erwerber übereignet, so ergibt sich der Schadensersatzanspruch des Mieters aus § 281 BGB. Danach kann der Mieter Schadensersatz verlangen, wenn der Vermieter zur Übereignung der Wohnung außerstande ist. Die Höhe des Anspruchs richtet sich nach einem Gesamtvermögensvergleich. Der tatsächlichen Vermögensentwicklung ist die Vermögenssituation bei ordnungsgemäßer Erfüllung gegenüberzustellen. Vorliegend bestand der Vermögensschaden in der Differenz zwischen dem anteiligen Kaufpreis (210.410 DM) und dem Verkehrswert (265.000 DM).
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 15.06.2005, VIII ZR 271/04, NZM 2005, 779