Leitsatz
- Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen.
- Verfassungsrechtlich verboten ist der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts.
Sachverhalt
Der Kläger und Revisionskläger hat in seiner ESt-Erklärung 1997 Einkünfte aus Spekulationsgeschäften von 1752 DM erklärt, die das zuständige Finanzamt erklärungsgemäß berücksichtigte. Hiergegen erhob er mit Zustimmung des Finanzamts Sprungklage und machte geltend, die Erfassung des Spekulationsgewinns sei verfassungswidrig; es bestehe insoweit ein Vollzugsdefizit, das eine Ungleichheit im Belastungserfolg bewirke. Das FG wies die Klage als unbegründet ab, ließ jedoch Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Dem Revisionsverfahren ist das BMF nach Aufforderung des BFH beigetreten. Der BFH hat das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG i.d.F. des EStG 1997 mit dem GG insoweit unvereinbar sei, als die Durchsetzung des Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt werde. Das BMF hält die Auffassung des BFH, die fehlende Kontrollmöglichkeit bei der Besteuerung von Spekulationsgewinnen begründe ein strukturelles Erhebungsdefizit, für nicht zutreffend.
Entscheidung
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG in der für 1997 und 1998 geltenden Fassung ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig, soweit er Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren betrifft. Zwar ist die gesetzlich begründete materielle Steuerpflicht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die dem Gesetzgeber zuzurechnende mangelhafte Durchsetzung dieser materiellen Pflicht verstößt jedoch gegen das verfassungsrechtliche Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug mit der Folge, dass die materielle Steuernorm selbst verfassungswidrig wird.
Abgesehen von der Frage ihres gleichheitsgerechten Vollzugs begegnet die zur Überprüfung durch das BVerfG gestellte materielle Norm keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das BVerfG hat einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG verneint, soweit Gewinne aus Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG den sonstigen Einkünften nach § 22 EStG zuzurechnen und zu besteuern sind. Dabei hat das BVerfG betont, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehindert wäre, Gewinne aus jeder Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens zu besteuern. Daran ist auch unter Berücksichtigung der vom BVerfG für das Einkommensteuerrecht zwischenzeitlich weiter präzisierten und fortentwickelten gleichheitsrechtlichen Maßstäbe festzuhalten.
Wie das BVerfG in seinem Zinsurteil dargelegt hat, verlangt der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen.
Daraus folgt eine nicht durch gesamtwirtschaftliche Erwägungen relativierbare Pflicht des Gesetzgebers, zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit des materiellen Steuergesetzes dieses in ein normatives Umfeld einzubetten, das die tatsächliche Lastengleichheit der Steuerpflichtigen gewährleistet – mit dem Instrument des Quellenabzugs oder im Veranlagungsverfahren mit der Ergänzung des Deklarationsprinzips durch das Verifikationsprinzip. Dabei bildet die gesetzliche Ausgestaltung des Steuergeheimnisses gemäß § 30 AO grundsätzlich das verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Gegenstück zu weiter gehenden Offenbarungspflichten im Besteuerungsverfahren. Für den Fall, dass ein gleichheitsgerechter Vollzug einer materiellen Steuernorm nicht ohne übermäßige, insbesondere unzumutbare Mitwirkungsbeiträge der Steuerpflichtigen zur Sachverhaltsaufklärung möglich wäre, müsste der Gesetzgeber zur Vermeidung einer durch entsprechende Ermittlungsbeschränkungen bedingten prinzipiellen Belastungsungleichheit auf die Erhebungsart der Quellensteuer ausweichen.
Diesem Prüfungsmaßstab entsprechen die folgenden Gesichtspunkte, die bei der Feststellung eines strukturellen Vollzugshindernisses zu berücksichtigen sind:
- Für die Prüfung, ob normative Defizite einen gleichmäßigen Belastungserfolg verhindern, ist maßgeblich auf den Regelfall des Besteuerungsverfahrens abzustellen.
- Der Gesetzgebe...