Tobias Böing, Jochem Schausten
Rz. 89
In der Praxis kommt es relativ häufig vor, dass ein Ehegatte für den anderen entweder die Mithaftung für einen dem Interesse des anderen Ehegatten dienenden Kredit oder eine Bürgschaft dafür übernimmt. Bei einer Trennung der Beteiligten entsteht dann regelmäßig der Wunsch, aus dieser Mithaftung bzw. Bürgschaftsverpflichtung herauszukommen. Hat ein Ehegatte während intakter Ehe dem anderen die Aufnahme von Bankkrediten durch Übernahme einer persönlichen Haftung oder durch Einräumung von dinglichen Sicherheiten ermöglicht, kann er nach Scheitern der Ehe Befreiung von solchen Verbindlichkeiten nach den Regeln des Auftragsrechts verlangen, wenn nicht vertraglich ein anderes bestimmt ist.
Rz. 90
Die Geltendmachung des Befreiungsanspruchs unterliegt jedoch Einschränkungen, die sich als Nachwirkung der Ehe sowie nach Treu und Glauben aus den Umständen ergeben, die zur Begründung der Verbindlichkeiten geführt haben.
Rz. 91
Wird der bürgende Ehegatte nach der Trennung durch den Gläubiger aus der Bürgschaft in Anspruch genommen, kann er von dem anderen Ehegatten nach § 670 BGB Aufwendungsersatz verlangen; darüber hinaus ist der gesetzliche Forderungsübergang des § 774 BGB zu berücksichtigen, wonach die Forderung des Hauptschuldners auf den Bürgen übergeht, soweit der Bürge den Gläubiger befriedigt.
Rz. 92
Hiervon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen der mithaftende oder bürgende Ehegatte einen unmittelbaren Freistellungsanspruch gegen das Kreditinstitut hat. Dazu hat der BGH in seiner grundlegenden Entscheidung bezüglich der Mithaftung des Ehegatten Folgendes ausgeführt:
Zitat
"Mitdarlehensnehmer ist nur, wer ein eigenes Interesse an der Kreditgewährung hat und über die Auszahlung und Verwendung der Darlehensvaluta mitentscheiden darf, Mithaftender, wer der Bank nicht als gleichberechtigter Darlehensnehmer gegenüber steht.
Eine krasse finanzielle Überforderung des mitverpflichteten Ehepartners oder nahen Angehörigen ist grundsätzlich erst dann zu bejahen, wenn der Betroffene voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag. Anderweitige Sicherheiten des Gläubigers sind nur zu berücksichtigen, soweit sie das Haftungsrisiko des Mitverpflichteten auf ein rechtlich vertretbares Maß beschränken.
In den Fällen der krassen finanziellen Überforderung besteht eine tatsächliche (widerlegliche) Vermutung, dass sich der Ehegatte oder nahe Angehörige bei der Übernahme der Mithaftung nicht von seinen Interessen und von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen und dass das Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen Hauptschuldner und Mithaftenden in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.
Der Erwerb bloßer mittelbarer Vorteile aus einem Betriebsmittelkredit des Hauptschuldners ist nicht geeignet, die tatsächliche Vermutung einer unzulässigen Willensbeeinflussung zu widerlegen.
Die gegen die guten Sitten verstoßende Mithaftungsabrede ist nach § 139 BGB teilweise aufrecht zu erhalten, wenn die Vertragsschließenden bei Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes an Stelle der unwirksamen Regelung eine andere auf das zulässige Maß beschränkte vereinbart hätten und sich der Vertragsinhalt in eindeutig abgrenzbarer Weise in den nichtigen Teil und den von der Nichtigkeit nicht berührten Rest aufteilen lässt."
Rz. 94
In ähnlicher Art und Weise hat der BGH bei einer den Ehegatten überfordernden Bürgschaft entschieden:
Zitat
"Ob der Bürge durch eine Bürgschaft finanziell krass überfordert wird, ist allein aufgrund seiner eigenen Vermögensverhältnisse, nicht auch derjenigen des Hauptschuldners zu beurteilen. Eine solche Überforderung liegt jedenfalls vor, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag. Anderweitige Sicherheiten des Gläubigers sind nur zu berücksichtigen, soweit sie das Haftungsrisiko des Bürgen verringern.
Wird der Bürge durch eine Bürgschaft, die er aus emotionaler Verbundenheit zum Hauptschuldner übernommen hat, krass überfordert und ist der Vertrag wirtschaftlich sinnlos, steht es der Sittenwidrigkeit der Verpflichtung weder entgegen, dass der – nicht geschäftsungewandte – Bürge Vertragsverhandlungen im Namen der Hauptschuldnerin geführt hat, noch dass die Hauptschuld dazu dient, den Bau eines gemeinsam zu bewohnenden Hauses auf einem Grundstück der Hauptschuldnerin zu finanzieren, noch dass der Bürge zusätzliche Sicherheiten aus eigenem Vermögen stellt."
Rz. 94
Das Vermeiden von Vermögensverschiebungen durch den Hauptschuldner auf den Bürgen schließt die Sittenwidrigkeit einer diesen krass überfordernden Bürgschaft insgesamt nicht aus, wenn die Höhe der Bürgschaft das berechtigte Sicherungsinteresse des Gläubigers offenkundig weit übersteigt.