1 Leitsatz
Haben die Wohnungseigentümer vor dem 1.12.2020 vereinbart, dass die Versammlung nur dann beschlussfähig ist, wenn sowohl mehr als die Hälfte der Miteigentümer als auch mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile vertreten sind, ist diese Vereinbarung weiterhin anwendbar.
2 Normenkette
§§ 24, 25, 47 WEG
3 Das Problem
In einer Wohnungseigentumsanlage gibt es 3 Wohnungseigentümer: Die Kläger (Wohnung Nr. 1, 21/100 MEA), die Eheleute A (Wohnung Nr. 2, 25 MEA) und den B (Wohnungen Nrn. 3 und 4, insgesamt 54 MEA). In einer Versammlung fasst allein B einen Beschluss. Andere Wohnungseigentümer sind nicht da und auch nicht vertreten. Gegen diesen Beschluss gehen die Kläger vor. Sie meinen, die Versammlung sei nicht entsprechend der Gemeinschaftsordnung beschlussfähig gewesen. Denn nach der Gemeinschaftsordnung sei eine Versammlung nur dann beschlussfähig, wenn sowohl mehr als die Hälfte der Miteigentümer als auch mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile vertreten seien.
4 Die Entscheidung
Dies sieht das AG auch so! Die Versammlung sei nach der Gemeinschaftsordnung nicht beschlussfähig gewesen. Dem stehe § 47 WEG nicht entgegen. Denn die in der Gemeinschaftsordnung statuierten Anforderungen an die Vertretung von Personen und Miteigentumsanteilen in der Versammlung, um eine Beschlussfähigkeit zu begründen, stellten gegenüber der nach dem WEG in der alten Fassung erforderlichen Vertretung und Mehrheitsverhältnissen eine Verschärfung dar. Dass die Wohnungseigentümer diese Verschärfung für den Fall, dass das Gesetz sich ändert, wieder lockern wollten, könne nicht angenommen werden.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die Frage, ob eine Altvereinbarung zur Beschlussfähigkeit der Versammlung nach dem 30.11.2020 noch anwendbar ist.
Beschlussfähigkeit
Nach § 25 Abs. 3 WEG a. F. war eine Versammlung nur beschlussfähig, wenn die erschienenen stimmberechtigten Wohnungseigentümer mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile, berechnet nach der im Grundbuch eingetragenen Größe dieser Anteile, vertreten. Diese Regelung gibt es nicht mehr. Seit dem 1.12.2020 ist jetzt jede Versammlung beschlussfähig. Die Wohnungseigentümer können allerdings etwas anderes vereinbaren. Eine solche Vereinbarung gibt es im Fall. Das AG meint, diese Vereinbarung sei trotz § 47 WEG weiterhin anwendbar. Diese Vorschrift bestimmt, dass Vereinbarungen, die vor dem 1.12.2020 getroffen wurden und die von solchen Vorschriften des WEG abweichen, die durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz vom 16.10.2020 (BGBl. I S. 2187) geändert wurden, der Anwendung dieser Vorschriften in der vom 1.12.2020 an geltenden Fassung nicht entgegenstehen, soweit sich aus der Vereinbarung nicht ein anderer Wille ergibt. Ein solcher Wille ist in der Regel nicht anzunehmen. Das AG bejaht aber den Willen, da die Wohnungseigentümer die Beschlussfähigkeit, wie sie § 25 Abs. 3 WEG a. F. bestimmt hatte, durch ihre Vereinbarung verschärft hatten: Nach der Vereinbarung müssen für die Beschlussfähigkeit (auch) mehr als die Hälfte der Miteigentümer erschienen sein. Diese AG-Deutung überzeugt. Sie sollte für die Praxis prägend sein.
Was ist für die Verwaltungen besonders wichtig?
Nach BGH, Urteil v. 17.3.2023, V ZR 140/221, lässt sich einer in der Gemeinschaftsordnung enthaltenen schlichten Verweisung auf die Gesetzeslage oder der bloßen Wiederholung des Gesetzes in Ermangelung anderer Anhaltspunkte nicht entnehmen, dass es auch nach einer Gesetzesänderung bei der Anwendung alten Rechts verbleiben soll. Vielmehr ist dies grundsätzlich als dynamische Verweisung auf die jeweils aktuellen gesetzlichen Regelungen zu verstehen. Im Fall gibt es keine Verweisung/Wiederholung, sondern in einer kleinen Wohnungseigentumsanlage eine Verschärfung.
6 Entscheidung
AG Frankfurt a. M., Urteil v. 28.10.2022, 33 C 1230/22 (76)