1 Leitsatz
Beschlüsse, die auf einer "Ein-Mann-Versammlung" gefasst worden sind, auf der die Wohnungseigentümer nur die Möglichkeit hatten, sich vom Verwalter vertreten zu lassen, sind nicht nichtig.
2 Normenkette
§§ 23, 24 WEG
3 Das Problem
Der Verwalter V weist im Vorfeld der Einladung zur Versammlung vom 23.7.2020 mit einer E-Mail an die Wohnungseigentümer vom 24.4.2020 auf das einer Zusammenkunft innewohnende unkalkulierbare Infektionsrisiko mit dem Corona-Virus hin. Er stellt die Möglichkeit einer "Ein-Mann-Versammlung" mit "abgespeckter" Tagesordnung vor, wobei vom persönlichen Erscheinen dringend abgeraten werde. V fragt ab, ob sich die Wohnungseigentümer "für eine Ein-Mann-Versammlung (es kommt niemand) entscheiden" oder abwarten wollen, bis das Infektionsrisiko wieder kalkulierbar sei.
In der eigentlichen Einladung heißt es im Betreff "1-Mann-Versammlung wegen Corona-Pandemie". Der Einladung liegt eine Vollmacht für V bei. Fraglich ist, ob die am 23.7.2020 gefassten Beschlüsse wegen eines Ladungsmangels nichtig, anfechtbar oder ordnungsmäßig sind.
4 Die Entscheidung
Das LG meint, die Beschlüsse seien nicht nichtig! Beschlüsse wegen eines Ladungsmangels seien regelmäßig nur anfechtbar. Nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen führe eine unterbliebene Ladung zur Nichtigkeit, beispielsweise wenn ein Wohnungseigentümer in böswilliger Weise gezielt von der Teilnahme ausgeschlossen werden solle.
Eine derartige Ausnahme liege nicht vor. Zwar habe der Verwalter es darauf angelegt, eine so bezeichnete "1-Mann-Versammlung" zu veranstalten. Und zweifellos hätten die Eigentümer bewegt werden sollen, auf eine Teilnahme zu verzichten. Dieser auf alle Wohnungseigentümer gleichsam wirkende Druck allein führe entgegen der unter einigen Amtsgerichten verbreiteten Ansicht jedoch noch nicht zur Nichtigkeit der auf einer "Ein-Personen-Versammlung" gefassten Beschlüsse. Denn es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Verwalter in böswilliger Absicht einzelne Wohnungseigentümer von der Teilnahme gezielt habe ausschließen wollen.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die Frage, ob einer fehlerhafte Ladung zu einer Versammlung die dort gefassten Beschlüsse anfechtbar machen kann.
Anfechtbarkeit versus Nichtigkeit
Das LG meint, Nichtigkeit komme im Fall nicht infrage. Ich selbst rate dazu, zu unterscheiden. In der Regel dürfte eine fehlerhafte Ladung zwar tatsächlich nicht zur Nichtigkeit führen (s. auch Häublein, ZfIR 2020, S. 789, zu AG Kassel, Urteil v. 27.8.2020, 800 C 2563/20). Beispielsweise die Bitte, eine Vollmacht zu erteilen, ist unschädlich. Wenn für einen Wohnungseigentümer außerdem die Möglichkeit bleibt, selbst zu erscheinen und keine Vollmacht zu erteilen, wird er allenfalls an der Wahrnehmung seiner Rechte behindert. Anders kann es aber womöglich liegen, wenn die Versammlungsstätte es gar nicht zulässt, dass Wohnungseigentümer an der Versammlung teilnehmen, oder wenn die Verwaltung die Rechtslage so darstellt, dass die Erteilung einer Vollmacht alternativlos ist. Im Fall wäre daher tatsächlich Anfechtbarkeit anzunehmen. Es kann im Einzelfall aber auch anders liegen.
6 Entscheidung
LG Frankfurt a. M., Urteil v. 2.2.2023, 2-13 S 60/22