Leitsatz
Jeder Wohnungseigentümer ist berechtigt, in der Versammlung Vollmachten zu prüfen und einen Vertreter, der seine Originalvollmacht nicht vorweisen kann, zurückzuweisen.
Normenkette
§ 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG
Das Problem
Bei der Versammlung behauptet Wohnungseigentümer V, diverse andere Wohnungseigentümer zu vertreten. Wohnungseigentümer K stellt zur Geschäftsordnung den Antrag, auf "sofortige Einsichtnahme in die Originalvollmachten des V". Dieser Antrag wird mehrheitlich abgelehnt. K beanstandet daraufhin die Bevollmächtigung des V für die nachfolgenden Abstimmungen. Diese Beanstandung wird ignoriert. Die anwesenden bzw. vertretenen Wohnungseigentümer beschließen im Folgenden. Gegen die Beschlüsse wendet sich K.
Die Entscheidung
Mit Erfolg! Die Beschlüsse litten an einem formellen Mangel, von dem nicht auszuschließen sei, dass er sich kausal auf das Beschlussergebnis ausgewirkt habe. Werde – wie hier – ein Vertreter, der keine schriftlichen Vollmachten vorlegen könne, zurückgewiesen, werde seine Stimmabgabe insoweit unwirksam (§ 174 BGB). Ein Nachreichen der Vollmachten komme nicht in Betracht (Hinweis auf OLG München v. 11.12.2007, 34 Wx 91/07, MietRB 2008 S. 77). Dem stehe der Beschluss, dass V seine Vollmacht nicht vorlegen müsse, nicht entgegen. Über das Recht jedes Versammlungsteilnehmers, zu jeder Zeit Einsicht in die Originalvollmachten zu nehmen, könne die Versammlung durch einen Geschäftsordnungsbeschluss nicht disponieren. Bereits in der Zurückweisung des Gesuchs liege ein Beschlussfehler. Der Zurückweisung stehe auch nicht entgegen, dass die Vollmachten dem Verwalter gegebenenfalls angezeigt worden waren. Wie sich aus § 174 Satz 2 BGB und dem Umstand ergebe, dass das "In-Kenntnis-Setzen" ein gleichwertiger Ersatz für die Vorlage der Vollmachtsurkunde sein solle, sei eine Kundgabe der Bevollmächtigung an jeden Wohnungseigentümer erforderlich.
Kommentar
Unstreitig ist jeder Wohnungseigentümer berechtigt, die Vollmacht eines Vertreters zu prüfen (siehe nur Hügel/Elzer, WEG, 1. Aufl. 2015, § 24 Rn. 38). Streitig ist hingegen, ob neben dem Versammlungsleiter jeder Wohnungseigentümer berechtigt ist, einen Vertreter, der seine Vollmacht nicht nachweisen kann, zurückzuweisen. Diese Frage ist die Frage danach, wer i.S.v. § 174 Satz 1 BGB der "andere" ist. Ich selbst meine, der andere ist der Versammlungsleiter (so auch Ott, IMR 2008, S. 62; Schultzky in Jennißen, WEG, 4. Aufl. 2015, § 25 Rn. 79). Denn nicht den anderen Wohnungseigentümern, gegenüber dem Versammlungsleiter sind die Stimmen abzugeben. Der einzelne Wohnungseigentümer kann also eine Vollmacht prüfen und rügen, einen Versammlungsteilnehmer aber nicht zurückweisen. Möglich ist hingegen eine mehrheitlich beschlossene Weisung an den Versammlungsleiter, was er tun soll (Geschäftsordnungsbeschluss). Wird ein Vertreter nicht zurückgewiesen, kommt es dann in einer Anfechtungsklage (nur) darauf an, ob er Vertretungsmacht hatte – nicht ob er diese in der Versammlung auch nachweisen konnte.
Was ist für den Verwalter wichtig?
Unklar ist, ob es ausreicht, wenn ein Vollmachtgeber dem "anderen" – dem Versammlungsleiter – die Bevollmächtigung i.S.v. § 174 Satz 2 BGB mitgeteilt hat. Ich selbst meine, dass diese Mitteilung ausreicht, wenn nicht vereinbart ist, dass Vollmachten in der Versammlung vorliegen müssen.
Link zur Entscheidung
LG Frankfurt am Main, Urteil vom 05.08.2015, 2-13 S 32/13