Leitsatz
Eine Beschränkung des Rederechts von Eigentümern auf der Versammlung muss unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes so schonend wie möglich erfolgen.
Normenkette
WEG § 24
Das Problem
- Verwalter V lädt zu einer außerordentlichen Versammlung am 6.9.2016. Er weist darauf hin, dass die Versammlung am 8.9.2017 fortgesetzt werde, sollte die Versammlung am 6.9.2016 nicht bis 22 Uhr beendet sein. Die Versammlung am 6.9.2016 wird dann tatsächlich gegen 21.40 Uhr auf den 8.9.2016 vertagt. Bevor es zu einer Abstimmung kommt, will Wohnungseigentümer K eine Frage stellen. Dies wird ihm nicht ermöglicht. Ein weiterer Wohnungseigentümer stellt den Beschlussantrag, die "Debatte" zu beenden und zur Beschlussfassung überzugehen. Dieser Antrag wird angenommen. K stellt sodann einen Beschlussantrag, der darauf zielt, eine erneute Grundsatzdiskussion zu führen. Dieser Antrag wird abgelehnt. Nunmehr fassen die Wohnungseigentümer eine Vielzahl von Beschlüssen, u.a. auch die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten (TOP) 10, 11 und 14. Zu TOP 10 fassen sie einen Beschluss hinsichtlich des "Budgets und Vergabe" von Baumaßnahmen betreffend den Austausch von Wasserleitungen. Gegenstand der Beschlussfassung zu TOP 11 ist eine "Option zur Mitfinanzierung" von "Sanierungsmaßnahmen" des Leitungssystems im Sondereigentum. Zu TOP 14 beschließen die Wohnungseigentümer eine "Haftungsfreistellung" der Verwaltungsbeiräte.
- K geht gegen die Beschlüsse zu TOP 10, 11 und 14 vor. Er behauptet, ihm sei sein Rederecht unrechtmäßig entzogen worden. Ferner sei zur Versammlung am 8.9.2016 nicht ordnungsgemäß geladen worden. Denn die Versammlung am 6.9.2016 sei schon vor 22 Uhr beendet worden. Die Beschlüsse zu TOP 10 und 11 seien wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nichtig, zumindest aber anfechtbar. Für die Entlastung des Verwaltungsbeirates angesichts des erheblichen Volumens der beschlossenen "Sanierungsarbeiten", über die der Verwaltungsbeirat mitentschieden habe, habe kein Anlass bestanden.
- Das Amtsgericht weist die Klage ab. Dagegen richtet sich die Berufung.
Die Entscheidung
Die Berufung hat in Bezug auf die Beschlüsse zu TOP 10 und TOP 11 Erfolg.
Die Vertagung
Allerdings teile die Kammer die Auffassung des Amtsgerichts hinsichtlich der Vertagung der Versammlung. Es sei schon nicht ersichtlich, inwiefern ein Mangel, sollte überhaupt ein solcher vorliegen, eine Auswirkung auf das Beschlussergebnis gehabt haben könnte. Dies sei jedoch bei einem formellen Beschlussmangel, unabhängig von der Frage, welche Anforderungen insoweit an die Darlegung zu stellen seien, zu fordern. Es sei für jeden Wohnungseigentümer erkennbar gewesen, auch für solche, die in der Versammlung nicht anwesend gewesen seien, dass unter Umständen eine Fortsetzung der Versammlung am 8.9.2016 stattfinden könnte.
Grundsätze der Redezeit
Soweit gerügt werde, K sei in seinem Rederecht beschränkt worden, könnte dies zu einer Anfechtbarkeit führen. Denn die Kammer habe erhebliche Bedenken an der Ordnungsmäßigkeit des praktizierten Handelns.
- K sei unstreitig die Möglichkeit genommen worden, eine Frage zu stellen. Auch sein Beschlussantrag hinsichtlich einer erneuten Diskussion sei abgelehnt worden. Zumindest in dem völligen Abschneiden seines Rederechts dürfte ein formeller Beschlussmangel zu sehen sein, der sich auch kausal auf das Beschlussergebnis ausgewirkt habe.
- Die Redezeit könne mit Blick auf eine ordnungsmäßige Durchführung der Versammlung allerdings beschränkt werden. Es handele sich um eine Frage der Geschäftsordnung, die nicht zwingend in einer Vereinbarung geregelt werden müsse, sondern auch – zumindest im Einzelfall, bezogen auf eine konkrete Versammlung – beschlossen werden könne. Jedoch herrsche weiterhin Einigkeit darüber, dass es sich bei dem Rederecht in der Versammlung um ein elementar wichtiges Recht des einzelnen Eigentümers handele (Hinweis u.a. auf Müller, ZWE 2018, S. 140). Es handele sich um ein wesentliches Teilhaberecht, das nach der gesetzlichen Konzeption unbeschränkt ausgeübt werden könne (Hinweis auf Bub/von der Osten, FD-MietR 2010, 304276). Dem Eigentümer dürfe nicht grundlos die Möglichkeit genommen oder beschränkt werden, auf die Willensbildung der übrigen Eigentümer einzuwirken. Dies sei dann auch bei der Beschränkung des Rederechts zu berücksichtigen. So bedürfe es eines sachlichen Grundes, der etwa in der effizienten Durchführung der Versammlung gesehen werden könne. Weiterhin müsse der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden.
- Im Fall bestehe die Besonderheit, dass die Versammlung an 2 Terminen stattgefunden habe, die aber im Zusammenhang zu sehen seien. Im ersten Termin seien anstehende "Sanierungsmaßnahmen" erörtert worden und die Eigentümer hätten Gelegenheit gehabt, Fragen zu stellen und Stellung zu nehmen. In der zweiten Versammlung seien dann nur die Beschlüsse gefasst worden. So könnte man annehmen, dass K sein Rederecht nicht entzogen, sondern nur begrenzt worden sei, da er in der ersten Versammlung diese Möglichkeiten hatte und au...