Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Bei vereinbarter Protokollversendungspflicht für rechtzeitigen Zugang sorgen (mindestens 1 Woche vor Ablauf der Anfechtungsfrist)
Bei unverschuldeter Versäumung der Beschlussanfechtungsfrist Wiedereinsetzung möglich
Normenkette
§ 23 WEG, § 24 Abs. 6 WEG, § 22 Abs. 2 FGG
Kommentar
1. Im vorliegenden Fall bestand eine verwaltervertragliche Regelung und Verpflichtung zur Übersendung von Versammlungsprotokollen. Das Protokoll einer Versammlung vom 17.3.1993 wurde hier am 14.4.1993 vom Verwalter übermittelt und ging beim Eigentümer am 15. oder 16.4.1993 ein. Ende der 1-monatigen Beschlussanfechtungsfrist nach § 23 Abs. 4 S. 2 WEG war hier der 19.3.1993, ein Montag (vgl. § 193 BGB). Der Antragsteller beauftragte am 21.4.1993 in einer Kanzleibesprechung einen Anwalt, der am 22.4.1993 Beschlussanfechtung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte (Eingang bei Gericht 26.4.1993). Der Wiedereinsetzungsantrag hatte Erfolg.
2. Die 1-monatige Beschlussanfechtungsfrist des § 23 Abs. 4 S. 2 WEG ist zwar eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist; gegen Versäumung dieser Frist ist allerdings Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend § 22 Abs. 2 FGG zulässig (h. R. M.). Das Amtsgericht kann über den Wiedereinsetzungsantrag auch durch besonderen Beschluss ohne Verbindung mit der Entscheidung in der Hauptsache entscheiden. Der angefochtene Versammlungsbeschluss war hier dem Antragsteller unbekannt geblieben; seine Unkenntnis war nicht als verschuldet zu bewerten. Grundsätzlich muss sich zwar ein Eigentümer beim Verwalter über gefasste Beschlüsse informieren; insoweit besitzt er auch ein Einsichtsrecht in Protokolle ( § 24 Abs. 6 S. 3 WEG). Mindestens 1 Woche vor Ablauf der Beschlussanfechtungsfrist hat deshalb der Verwalter (Versammlungsleiter) sein Protokoll zu fertigen. Besteht kraft getroffener Vereinbarungen bzw. Vertragsabsprachen Übersendungsverpflichtung, hat die Versendung rechtzeitig, d.h. wiederum mindestens 1 Woche vor Ablauf der 1-monatigen Beschlussanfechtungsfrist zu erfolgen, damit Eigentümern noch hinreichender Zeitraum zur Verfügung steht, um ggf. nach Einholung fachkundigen Rats rechtzeitig einen Anfechtungsantrag stellen zu können (vgl. auch BayObLGZ 1989, 13, 14 ff.).
Vorliegend bestand eine verwaltervertragliche Vereinbarung über einen entsprechend rechtzeitigen Zugang, was auch einen Vertrauenstatbestand bei den Eigentümern hervorrief. Somit musste sich der Eigentümer im vorliegenden Fall auch nicht von sich aus bei der Verwaltung über in seiner Abwesenheit gefasste Beschlüsse erkundigen. Eine Wiedereinsetzung ist allein dann zu versagen, wenn ein Antragsteller innerhalb der ihm noch zur Verfügung stehenden Zeit nicht das ihm Zumutbare getan hat, um das Rechtsmittel noch rechtzeitig einlegen zu können. Maßstab der Zumutbarkeit ist dabei dasjenige, das von einer Partei in ihrer Lage bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles verständigerweise erwartet werden kann. Vorliegend war es dem Antragsteller nicht mehr möglich, den Beschlussanfechtungsantrag noch rechtzeitig bis zum Ablauf des 19.4. bei Gericht einzureichen. In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob der allgemeinen Auffassung des BayObLG zu folgen ist. Eigentümern müsse auch bei Wegfall des Hindernisses während des Laufs der Beschlussanfechtungsfrist ein Zeitraum von mindestens einer Woche zur Verfügung stehen für die u. U. erst nach rechtzeitiger Beratung zu treffende Entscheidung, ob er einen Eigentümerbeschluss, von dessen Existenz er unverschuldet nicht früher Kenntnis erlangt hat, beim Amtsgericht anfechten soll. Vorliegend konnte nicht von einem Verschulden des Antragstellers gesprochen werden, so dass der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig innerhalb zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses gestellt wurde ( § 22 Abs. 2 S. 1 FGG).
Das Amtsgericht hat nunmehr in der Hauptsache über den Beschlussanfechtungsantrag zu entscheiden.
Link zur Entscheidung
( OLG Hamm, Beschluss vom 21.02.1995, 15 W 401/94= DWE 4/95, 159)
Zu Gruppe 4: Wohnungseigentumsverwaltung
Anmerkung:
Erneut darf ich Verwalter bei bestehender Protokollversendungspflicht sehr eindringlich auf diese herrschende Rechtsmeinung und fristgebundene Verpflichtung der Protokollversendung hinweisen. Bei Fehlverhalten kann sich wie im vorliegenden Fall ein Beschlussanfechtungsverfahren bei u.U. vorgeschaltetem Streit über die Begründetheit eines Wiedereinsetzungsantrages sehr lange hinziehen und den Schwebezustand über die Gültigkeit eines Beschlusses mit möglichen Rechtsnachteilen für die gesamte Gemeinschaft sehr lange aufrecht erhalten.