Leitsatz

Die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft durch einen Sozialhilfeempfänger verstößt gegen die guten Sitten, wenn dies nicht ausnahmsweise durch ein überwiegendes Interesse des Erben motiviert ist.

Erfolgt die Ausschlagung durch den Betreuer des Sozialhilfeempfängers, so kann diesem die nach § 1822 Nr. 2 BGB erforderliche vormundschaftliche Genehmigung nicht erteilt werden.

 

Sachverhalt

Der schwerstbehinderte Betroffene ist Sozialhilfeempfänger. Nach dem Tod seiner Mutter wurde sein Bruder, der Beteiigte zu 3), zu seinem Betreuer u.a. für den Aufgabenkreis Vermögenssorge bestellt. Beide Brüder beerben die Mutter zu je ½, mithin jeweils mindestens 25.000 EUR. Zur Regelung der Nachlassangelegenheiten wurde der Beteiligte zu 2), ein Onkel, zum Ergänzugsbetreuer bestellt. Dieser erklärte durch notariell beglaubigte Erklärung für den Betroffenen die Ausschlagung der Erbschaft und ließ die vormundschaftliche Genehmigung hierfür beantragen. Zugleich reichte er einen Vertrag zwischen dem Beteiligten zu 3) und dem Betroffenen, vertreten durch den Beteiligten zu 3), ein, in dem der Beteiligte zu 3) erklärte, nach Erteilung der Genehmigung Unterstützung nach billigem Ermessen zu leisten, soweit der Sozialhilfeträger hierauf nicht zugreifen könne und sie nicht auf die Sozialhilfe angerechnet werde.

Das AG verweigerte die Genehmigung wegen Sittenwidrigkeit. Auch die weitere Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

 

Entscheidung

Die Entscheidung richtet sich nach § 1822 Nr. 2 i.V.m. § 1901 Abs. 2 und 3 BGB, wonach die Erklärung der Ausschlagung der vormundschaftlichen Genehmigung bedarf. Dessen Entscheidung ist durch sämtliche Belange des Betreuten, nicht nur seine finanziellen Interessen, bestimmt. Zum Wohl des Betreuten gehört es auch, im Rahmen seiner Möglichkeiten ein Leben nach seinen Wünschen zu leben.

Vorliegend verstößt die Ausschlagung nach § 138 Abs. 1 BGB gegen die guten Sitten und ist daher nichtig. Denn die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft, die dazu führt, dass ein ansonsten für eine nicht unerhebliche Zeit ausgeschlossener Sozialleistungsanspruch ( §§ 2, 90 Abs. 1 SGB XII) fortbesteht, verstößt gegen die guten Sitten, wenn nicht ausnahmsweise legitime Interessen des Erben geeignet sind, die Ausschlagung nachvollziehbar zu motivieren. Eine Ausschlagung in dieser Situation verstößt nämlich grundsätzlich gegen das aus dem Sozialstaatsprinzip entspringende Solidaritätsgebot, welches in Form von Sozialleistungen in Anspruch genommen wird. Das Vorschützen nicht bestehender Bedürftigkeit ist als widersprüchliches Verhalten mit den guten Sitten unvereinbar, es sei denn, es kann im Einzelfall auf Gründe gestützt werden, die die Rechtsordnung auch bei voller Würdigung der Allgemeininteressen akzeptieren muss.

Eine Vergleichbarkeit zum sog. Behindertentestament, welches i.d.R. als sittenkonform anzusehen ist, liegt nicht vor, da die dort zum Tragen kommende Motivation, die eigenen Kinder über die Möglichkeiten der Sozialhilfe hinaus zu begünstigen, welches der sittlichen Verantwortung der Eltern entpringt, nicht als verwerflich angesehen werden kann.

Vorliegend erfolgte die Ausschlagung allein aus eigennützigen Motiven. Auch ist die allgemeine Handlungsfreiheit des Betroffenen hier durch §§ 2, 90 Abs. 1 SGB XII beschränkt.

Auch ist das Ausschlagungsrecht, anders als andere höchstpersönliche Rechte nach § 1822 Nr. 2 BGB, einer Stellvertretung im Willen zugänglich und daher nicht so stark an die Individualität einer Person gebunden, dass sich ein Messen am Maßstab der guten Sitten von vorneherein verbieten würde.

Ein Vorrang des Ausschlagungsrechts vor Drittinteressen ergibt sich auch nicht vor dem Hintergrund des § 1374 Nr. 2 BGB, da dieser allein für die familienrechtliche Situation gilt und sich nicht verallgemeinern lässt. Die vorliegende Situation ist damit als sittenwidrig zu bewerten, woran auch der pauschal in den Raum gestellte Begriff "Familienfriwden" nichts zu ändern vermag.

 

Link zur Entscheidung

OLG Celle, Beschluss vom 14.01.2010, 4 W 10/10OLG Hamm, Beschluss vom 16.07.2009, I-15 Wx 85/09

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