Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Beteiligung von Grundstückseigentümern bzw. Nachbarn am Bebauungsplan- und Baugenehmigungs- bzw. Freistellungsverfahren. Zum Nachbarschutz bei der Befreiung von der Festsetzung der Anzahl der Vollgeschosse in einem Bebauungsplan. Zum Nachbarschutz gegen eine Carportanlage für ein Mehrfamilienhaus
Leitsatz (amtlich)
1. Eine unterbliebene Beteiligung des Nachbarn nach § 71 Abs. 1 S. 2 LBO begründet keine Abwehransprüche allein aus diesem Grunde.
2. Eine Befreiung von der Festsetzung in einem Bebauungsplan über die Anzahl der Vollgeschosse ist regelmäßig nicht rücksichtslos, wenn das in der LBO angegebene Verhältnis der Grundfläche des Geschosses zur Grundfläche des darunter liegenden Geschosses von dreiviertel nur geringfügig überschritten wird.
Normenkette
LBO § 71 Abs. 1 S. 2
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird auf 3.750 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung, die Einstellung der Bauarbeiten zur Errichtung eines Wohngebäudes mit sechs Wohneinheiten und Carportanlage auf dem Grundstück T. Straße 24, A-Stadt-Besch, Gemarkung Besch, Flur 2, Flurstücke …/16 und …/18 anzuordnen, hat keinen Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
Vorliegend hat die Antragstellerin mit dem Hinweis auf den Baufortschritt und die Schaffung nur schwer rückgängig zumachender Tatsachen hinsichtlich des Gebäudes einen Anordnungsgrund, hingegen keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Hinsichtlich der Carportanlage lässt das Vorbringen der Antragstellerin bereits keinen Anordnungsgrund erkennen. Denn mit der Errichtung von Carports wird bereits kein nicht oder nur schwer rückgängig zu machender Tatbestand geschaffen, der eine einstweilige Entscheidung erfordert. Vielmehr sind Carports regelmäßig wieder einfach zu entfernen. Befürchteten Immissionen ließe sich – sollten sie rechtswidrig sein und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzen – zudem im Nachhinein durch eine Nutzungsuntersagung begegnen. In der Sache ist allerdings auch insoweit kein Anordnungsanspruch erkennbar.
Nach § 57 Abs. 2 LBO 2004 ist es Sache der Bauaufsichtsbehörde darüber zu wachen, dass bei der Errichtung, der Änderung, der Nutzungsänderung, dem Abbruch sowie der Instandhaltung und Instandsetzung baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden; in Wahrung dieser Aufgaben kann die Bauaufsichtsbehörde die „erforderlichen Maßnahmen” treffen. Im Falle der Nichtbeachtung nachbarschützender Bestimmungen des öffentlichen Baurechts hat der betroffene Nachbar vorbehaltlich eines individuellen Rechtsverlustes im Einzelfall regelmäßig einen subjektiven Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber baurechtswidrigen Anlagen und/oder deren Nutzung. Dieser Anspruch umfasst regelmäßig auch ein Recht auf gegebenenfalls zwangsweise Realisierung entsprechender Anordnungen im Wege des Verwaltungszwanges, im Einzelfall sogar unter Anwendung eines bestimmten Zwangsmittels (OVG des Saarlandes, Urteil vom 12.12.1986 – 2 R 144/86 –, S. 12 unter Hinweis auf die ständige Senatsrechtsprechung, z.B. Beschluss vom 08.09.1975 – II W 40/75 –, AS 14, 214 = BRS 29 Nr. 142, und Urteil vom 22.10.1982 – 2 R 209/81 –, AS 19, 129 = NVwZ 1983, 685; ebenso Beschlüsse vom 07.09.1988 – 2 W 422/86 – und vom 31.01.1995 – 2 W 51/94 –), sofern die Abwehrrechte der betroffenen Anlieger nicht bereits durch ausdrückliche Erklärung, konkludentes Verhalten oder Verwirkung untergegangen sind (OVG des Saarlandes, Urteil vom 12.12.1986 – 2 R 144/86 –, S. 12).
Welchen Vorschriften des Baurechts nachbarschützende Funktion zukommt, ist jeweils nach Inhalt, Zweck und Wirkung der einzelnen Vorschrift darauf zu untersuchen, ob die spezielle Norm zumindest auch den Schutz des Nachbarn bezweckt. Dabei ist Zurückhaltung geboten und grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen, um einer Ausuferung in Richtung auf eine verdeckte Popularklage zu begegnen sowie den verständlichen Bedürfnissen des Bauherrn nach Rechtssicherheit gerecht zu werden. Eine besondere subjektive Rechtsstellung des Nachbarn kann nur dann anerkannt werden, wenn der Kreis der geschützten Personen durch die Norm hinreichend klar gestellt wurde, wobei zu fragen ist, ob die Vorschrift gerade darauf abzielt, Baumaßnahmen oder Nutzungen zu verhindern, welche typischerweise das Nachbargrundstück schädigen oder gefährden. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das streitige Vorhaben mit den sonst...